Rechtsextreme -
Pamjat
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion traten wesentliche Veränderungen
ein und Gorbatschow war bemüht mittels seiner Politik von Glasnost und
Perestroika Reformen zu initiieren. Doch auch andere, wie die orthodoxe
Kirche und die entstehenden nationalistischen Bewegungen in vielen Teilen
des Landes, machten sich ans Werk, Veränderungen nach ihrer Facon zu
erwirken:.
So kam es beispielsweise am 19. Januar 1990 laut dem Bericht der "Komsomolskaja
Prawda" während einer Sitzung des Schriftstellerkollektivs "April" im Zentralen
Haus der Literatur in Moskau zu einer gewalttätigen Auseinandersetzung, nachdem
rechtsgerichtete Schläger die Veranstaltung stören wollten. Seit langem schon
waren die Schriftsteller, die einen aktiven Beitrag für den Erfolg der
Perestroika leisten wollen, den Nationalisten ein Dorn im Auge, zumal sie ein
liberales Gedankengut vertraten, hinter dem die faschistischen Pamjatniks
lediglich einen Ausverkauf der national-russischen Werte witterten. Smirnow, der
Anführer dieser dreißigköpfigen Gruppe, allesamt Mitglieder der
"Pamjat"-Bewegung, brüllte ins Mikrophon: "Wir sind die Herren des Landes und
ihr seid bloß Bastarde. Die Juden und Freimaurer haben mit den russischen
Schriftstellern gar nichts gemein und sollten verschwinden." Er forderte, dass
man die Personalien von den jüdischen Genossen aufnehmen solle und
prognostizierte, dass keine Miliz, kein KGB und keine Partei ihnen helfen werde.
Für das nächste Mal - so kündigte es Smirnow an - wolle man gleich mit
Maschinengewehren kommen. Diese Anekdote hätte vielleicht zur allgemeinen
Lächerlichkeit beigetragen, jedoch wurde es Ernst, als die Schläger dem
bekannten Dichter und Chansonnier, Bulat Okudschawa, der die Randalierer zu
fotografieren versuchte, die Arme auf den Rücken verdrehten und seinem Kollegen
Anatolij Kurtschtkin am Auge verletzten und dessen Brille zertraten.
Ähnliche Vorfälle hatte es im Zusammenhang mit Mitgliedern der Pamjat-Bewegung
bereits - wenn auch nur vereinzelt - in der vorangegangenen Zeit gegeben, der
vormals verbal-aggressive Antisemitismus schlug allerdings jetzt in Gewalttaten
um. Inzwischen waren diese Gruppen, vor allem die Pamjat, größer und populärer
geworden und traten immer häufiger und vehementer in Erscheinung, sicherlich
auch, da ihnen bewusst war, dass sie nichts wesentliches seitens der Miliz zu
befürchten brauchten.
Unverhohlener Antisemitismus erscheint neuerdings auch in zeitgenössischen
Musik-Magazinen, wie der Moskauer Rockzeitschrift "Sdwig", die mit Hilfe des
staatlichen Jugendverbandes "Komsomol" erschien. Dort stand 1990 in der
Frühjahrsausgabe (Februar) u.a. zu lesen: "Demokratie ist der heiligste Traum
des ganzen Judentums (...) ... aber nicht das christliche Kreuz oder Gott,
sondern das Hakenkreuz, das Symbol der aufgehenden Sonne, wählt der arbeitsame,
gelegentlich unglückliche, aber hochstehende völkische Ackerbauer für sich...".
Das stammte aus der Feder von Sergej Scharikov, einem aktiven Mitglied der
"Pamjat", und der zu den einflussreichsten Personen der sowjetischen Rockszene
gehörte und sich vor allem um den künstlerischen Nachwuchs bemüht. In einer
sogenannten "Analyse" wollte der Autor Scharikov beweisen, dass der
Qualitätsverlust des sowjetischen Rocks vor allem durch die "Verdrängung" des
Russischen durch die sowjetischen Juden zurückzuführen wäre. Ähnlich gesonnene
Artikeln konnte man bald auch in anderen Zeitschriften finden, darunter solche
wie "Nasch Sowremennik" oder "Molodaja Gwardija". Der bisher noch eher latent
wirkende Antisemitismus hatte sich nun längst auf unterschiedlichen politischen
Ebenen manifestiert und reicht tief in verschiedenste Sparten der ehemalig eher
liberal gesonnen sowjetischen Intelligenz.
Im letzten Drittel des Jahres 1990 kam es in Moskau zu einem längst erwarteten
ersten öffentlichen Prozess gegen einen Vertreter der Pamjat-Bewegung, gegen
Konstantin Ostaschwili, im Zusammenhang mit dem zuvor erwähnten Krach im "Haus
der Literaten" vom Januar. Zwar wurde der Vorwurf gegen den Angeklagten
Konstantin Ostaschwili - auf der Grundlage des bestehenden §174 des
Strafgesetzbuchs der UdSSR ("Aufwiegeln zum nationalen Rassenwahn und religiöser
Feindschaft" / später §282, Absatz 1) - eindeutig bestätigt, doch zeigte sich in
dem ersten Prozess dieser Art, dass Richter wie Staatsanwalt den Anforderungen
nicht gewachsen waren. Der Prozess schleppte sich hin und Ostaschwili konnte
sein Spielchen treiben: so lehnte er es ab, sich den sowjetischen Richtern zu
stellen, die, wie er behauptete, "allesamt Juden" und deshalb befangen seien,
und blieb den Verhandlungsterminen häufig fern. Falls er dann doch vor dem
Gericht auftauchte, nutzte er die Gelegenheit der zahlreich präsenten Presse und
Öffentlichkeit seine persönlichen Theorien von der "jüdischen Verschwörung"
darzustellen
Immer häufiger und auffälliger wurden Anfang der 90er Jahre Demonstrationen
"konservativer Kräfte", bei denen unverhohlen lauthals antisemitische Äußerungen
und Parolen gebrüllt wurden. Ende März 1992 folgten den Parolen der Exzess: ein
Brandsatz flog gegen eine Moskauer Synagoge und richtete erheblichen Sachschaden
an - Rabbiner Barach Cunin teilte damals mit, dass die gesamte Inneneinrichtung
in Flammen aufging. Es verging fast keine Woche, in der nicht ähnliche Meldungen
über Nachrichtenagenturen tickerten.
Ein Jahr später, im April 1993, war der Jüdische Friedhof in St. Petersburg
Angriffsziel: rund vierzig jüdische Gräber wurden an einem Wochenende verwüstet.
Wie ein Moskauer Radiosender meldete, wurden zahlreiche Grabsteine umgestoßen,
Verzierungen und Bänke zerstört. Auch wenn eine Untersuchung zu diesem Vorfall
eingeleitet worden war, konnten verschiedene Lokalsender nicht mehr
verschweigen, dass seit dem Zusammenbruch des sowjetischen Regimes gerade in St.
Petersburg und in Moskau die antijüdische Agitation empfindlich zugenommen hat.
In einem Buch mit dem interessanten Titel: "Geheimnisse der russischen
Geschichte des XX. Jahrhunderts", das im Herbst 1998 erschienen ist, vertritt
der Autor Iwan Seleznev, Professor für Geschichte an der Universität in
Krasnodar, ungehindert die These, dass "an allem Unglück Russlands hauptsächlich
die Juden schuld seien".[Seleznev, I. A.: Tajny rossijskoj istorii XX veka.
Krasnodar, Sovet. Kuban, 1998. ISBN 5-7221-0157-5. Broschur, 128 S.]
Im Anbetracht der antisemitischen Gefahren, vor allem auch wegen der ungewissen
Zukunft war es nur allzu verständlich, dass zahlreiche Juden es vorzogen, so
schnell wie möglich das Land zu verlassen, um in den Westen, zu ihren Verwandten
in Israel, USA, Westeuropa und sonst wohin zu gelangen.
Inzwischen wurden Nationalitätenkonflikte, Rassismus und Antisemitismus zu einem
gewohnten Bild sowohl in dem GUS-Staatengebilde, als auch in den inzwischen
unabhängig gewordenen Ländern. Es ist nicht mehr verwunderlich, dass in den
späten 90er Jahren die Diskriminierung von Minderheiten für die Täter auf allen
Ebenen zumeist ohne Folgen blieb: Politiker agierten unter dem Deckmantel ihrer
"Immunität": Anfang November 1998 lehnte die Russische Duma es ab, die
parlamentarische Immunität ihres Abgeordneten, Albert Makaschov (ein Mitglied
des ZK der KPRF, der bereits 1993 mit seinen Hetztiraden bekannt geworden war)
aufzuheben, obwohl er sich zum wiederholten Male in antisemitischen Hasstiraden
verspann.
So hatte er bei einer Demonstration in Moskau gedroht, dass im Falle seines
Todes als Rache "zehn von solchen Shidi (verächtliches Wort für 'Juden') ins
Jenseits befördert" würden. Danach ergoss er sich in Appellen für "ein
judenfreies Russland". Dass dieser Vorfall überhaupt zur Aussprache kam, war dem
in den 40er bis 70er Jahren populären jüdischen Schlagersänger Josif Kobzon zu
verdanken, der heute ebenfalls Duma-Abgeordneter ist und Strafantrag gegen
Makaschovs stellte.
Die israelische Regierung forderte die Duma offiziell auf, sich von Makaschows
Auslassungen zu distanzieren und drohte mit einer Demarche beim Europarat.
Einige Fraktionen, denen die Diskussion offensichtlich unangenehm war,
versuchten den Tagesordnungspunkt zu wechseln. Makaschov verlangte jedoch nach
einer offenen Abstimmung, mit dem Ziel, dass "das Volk seine echten Patrioten"
kennen lerne. Schließlich - so Makaschov - gehe es hier nicht um das einzelne
Wort "Shid", sondern um den "Zionismus".
Bei einer anschließenden Abstimmung zur Aufhebung der Immunität Markaschovs kam
es also zu dem entsprechenden Ergebnis: rund ein Viertel (118) der 450
Duma-Abgeordneten stimmten für Sanktionen gegen die antisemitischen Äußerungen
Makaschovs, unter ihnen war nur ein Kommunist - der Duma-Präsident Gennadij
Selesnow. Andere Mitglieder aber, wie z.B. die LdPR-Fraktion von Wladimir
Schirinowski, boykottierten die Abstimmung. In einem Fernsehinterview meinte
Schirinowski lakonisch, seine Fraktion wolle nicht, durch eine eventuelle
voreilige Verurteilung Makaschovs, die Gefahr des Antisemitismus aufbauschen,
die es eigentlich in Russland gar nicht gäbe ...
Völliges Unverständnis über die Empörung der russischen Medien zu dieser
Abstimmung zeigte der Moskauer KPRF-Chef Alexander Kuwajev, und meinte sogar,
man solle besser "die führenden jüdischen Fernsehjournalisten zu Volksfeinden
erklären ... und vor deren Wohnungen demonstrieren". Mit solchen Ansichten stand
Kuwajev nicht alleine, auch ein anderer Abgeordneter, Gennadi Benov warnte, dass
"der Zionismus schließlich gefährlicher ist als der Faschismus, weil er subtil,
heimlich und verstohlen operiert".
Laut einer früheren Umfrage des bekannten VZIOM-Instituts sprachen sich von den
Befragten rund 64 % gegen eine mögliche Kandidatur eines Juden zum
Präsidentenamtes aus, nur 30% hielten es für angebracht, Makaschov wegen seiner
antijüdischen Hetze zu belangen. Andererseits sahen zwei Drittel der Befragten
Notwendigkeiten, Minderheiten - Juden, Zigeuner und andere - gesetzlich vor
Rassenhass zu schützen. Solche Ergebnisse zeigen natürlich, dass der
Antisemitismus in Russland nicht schlimmer zu sein scheint als in den übrigen
osteuropäischen Ländern, was auch Rabbiner Berl Lasar von der Moskauer Jüdischen
Gemeinde so sieht - nur dass es hier schwieriger ist, diesem
gesellschaftunwürdigen Phänomen beizukommen. Der Pressesprecher der Gemeinde,
Baruch Gorin, wirft der Regierung und dem Justizapparat vor, dass diese viel zu
schwerfällig und unentschlossen auf faschistische Agitationen reagieren.
Im Dezember 1998 kam es erneut zu antisemitischen Ausfällen, diesmal durch den
KP-Abgeordneten Wiktor Iljuchin, der Vorsitzender des Sicherheitsausschuss der
Duma, und auch diesmal lehnte es das Parlament ab, durch Abstimmung gegen eines
seiner Mitglieder vorzugehen oder seine Hasstiraden zu verurteilen.
Was war geschehen? Während einer Tagung der Impeachment-Kommission (die damals
an der Absetzung Jelzins arbeitete), behauptete Iljuchin, dass Jelzin sich des
Völkermordes schuldig gemacht hätte. Er meinte jedoch nicht den Krieg um
Tschetschenen, sondern Jelzins Wirtschafts- und Sozialpolitik am eigenen Volk.
Für dieses Verbrechen - so Iljuchin - sei aber weniger der Präsident als
vielmehr seine "jüdischen Berater" verantwortlich, die ja ohnehin "längst, schon
seit der sowjetischen Ära, den Ton angeben" und überdies "überproportional im
Staatsdienst vertreten" wären. Die gleiche Ansicht vertrat bereits schon der
KP-Chef Sjuganow, als dieser einmal meinte: "In Russland lebten vor allem
ethnische Russen. Jelzin aber umgebe sich bevorzugt mit Juden und anderen
Nichtrussen, mit Leuten wie Gaidar und Tschubaji". Nicht anders argumentierte im
Oktober ja auch Makaschov bei der Demonstration, wo er ein Gesetz forderte, um
den Zugang von Nichtrussen zu öffentlichen Ämtern und Jobs per Quote zu regeln.
Spassmäßig begannen beide den "Arier-Anteil" in der Bevölkerung zu ermitteln:
Makaschov ermittelte 87 %, Sjuganow kam auf nur 85 %.
Der Justizminister Pawel Kraschinenikov seinerseits kritisierte zwar Iljuchins
Ausfälle, wollte aber keine weiteren Schritte gegen ihn einleiten. Was nun
Sjuganow betraf, so pochten sowohl der administrative Chef des Kremls, Nikolaj
Bordjuscha, als auch der Justizminister Kraschinenikov auf Klarstellung, um zu
verhindern, dass Iljuchins Suada als offizielle Meinung des russischen
Parlaments interpretiert werden könne. Nach Sjuganows einwöchigen Schweigen
meinte dieser schließlich: "Antisemitismus sei verabscheuenswürdig - Zionismus
aber auch!" Am 23. 12. 1998 ließ Sjuganow zusätzlich verkünden, dass seine KP
nun eine Untersuchung über Beteiligung des zionistischen Kapitals bei der
russischen Wirtschafts- und Finanzkrise eingeleitet habe.
hagalil.com
20-04-2002
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