von Ulrich W. Sahm, Jerusalem, 3. Juni 2007
Der Sechs Tage Krieg im Juni 1967 war auch die Geburtsstunde der
Palästinenser als Nation. Die bekannte palästinensische Politikerin Chanan
Aschrawi sagte einst: "1948, bei
der Staatsgründung Israels, gab es noch keine Palästinenser, sondern nur
Araber. Deshalb können die Palästinenser nicht für den Krieg und für die
territorialen Verluste verantwortlich gemacht werden."
Seit wann also gibt es "Palästinenser"?
Üblicherweise wird die Charta der Palästinensischen Befreiungsorganisation
PLO erwähnt, mit der sich die Palästinenser ihren Namen gegeben haben. Denn
als die Briten von 1917 bis 1948 in Palästina herrschten, wurden alle
Bewohner dieses Gebietes, Juden wie Araber, Armenier und Drusen
"Palästinenser" bezeichnet.
Die erste PLO Charta wurde 1964 in Kairo verfasst. 1968 wurde sie
überarbeitet. Die Änderungen zeigen, dass erst nach dem Krieg von 1967 der
Begriff "Palästinenser"
konkretisiert wurde.
Im Artikel 24 der ursprünglichen Fassung dieser PLO-Charta heißt es noch,
dass die Organisationen im Westjordanland des Haschemitischen Königreichs
von Jordanien, im Gazastreifen und in der HImmah Gegend (südlich des See
Genezareth) keine "regionale
Souveränität" ausübe. Die palästinensischen Unabhängigkeitsbestrebungen
konzentrierten sich also ursprünglich allein auf das Staatsgebiet Israels
und schlossen die heutigen "Palästinensergebiete"
aus Rücksicht auf die Jordanier aus. Nach dem Sechs Tage Krieg, in der
überarbeiteten Version, entfiel dieser Ausschluss der palästinensischen
Städte Ramallah, Bethlehem und sogar Ostjerusalems aus jenem Gebiet, wo die
Palästinenser ihre Souveränität ausüben wollten.
In Artikel 1 hieß es zunächst, dass Palästina ein arabisches Heimatland
sei mit engen Bindungen zu den arabischen Ländern. 1968 wurde daraus ein
"palästinensisch-arabisches
Heimatland".
Eine "palästinensische
Persönlichkeit" war 1964 noch eine "permanente
und echte Charakteristik, die nicht verschwindet und von Vätern auf die
Söhne vererbt wird". Nach dem 6-Tage-Krieg wurde diesem nationalen
Selbstverständnis hinzugefügt: "Die
zionistische Besatzung und die Verstreuung des palästinensisch-arabischen
Volkes als Resultat von Katastrophen können das Volk nicht von seiner
palästinensischen Persönlichkeit entledigen oder diese tilgen."
Der Definition, dass ein "Palästinenser"
ein "arabischer Bürger" sei, folgt
die teilweise Ausschließung der Juden. 1964 gab es noch
"Juden palästinensischer Herkunft".
1968 gab es "permanent in Palästina
vor der zionistischen Invasion lebende Juden". 1964 mussten diese Juden noch
"friedvoll und loyal" sein, während
1968 diese Auflage entfiel.
1964 sollten Jugendliche noch in "arabischer
und nationalistischer Weise" erzogen werden. 1968 wurde das
"nationalistisch" in
"revolutionär" umgetauscht. 1968
wurden diesen hehren Zielen noch "bewaffneter
Kampf" hinzugefügt und die "Bereitschaft,
für das Heimatland Leben und Eigentum zu opfern".
In beiden Texten wird Juden abgesprochen ein Volk zu sein. Israels
Entstehung wird für "null und
nichtig" erklärt. Doch die neuere Version ist ungleich militanter und in
ihrer Wortwahl aggressiver. So werden der
"Speerspitze des Kolonialismus und des Imperialismus" ab 1968
Rassismus und Rassentrennung sowie "faschistische
und Nazi-Methoden" nachgesagt. Fast die ganze Palette heutiger Propaganda
gegen Israel ist da schon vorformuliert. 1964 hingegen war zwar von Kampf
und Befreiung die Rede, jedoch ohne Gewalt zu erwähnen.
Ende der sechziger Jahre verwirklichte die PLO mit Flugzeugentführungen
und Terroranschlägen, darunter auch bei den olympischen Spielen in München
oder auf dem Flughafen in Wien ihren "legitimen
bewaffneten Kampf". 1964 war das noch nicht Teil des palästinensischen
Selbstverständnisses. Mit dieser Gewalt gelang es PLO-Chef Jassir Arafat
tatsächlich, die Palästinenser ins Bewusstsein der internationalen
Gemeinschaft zu bomben.
Bemerkenswert ist das völlige Fehlen von zwei Elementen, die seit einigen
Jahren als "Kern des
Nahostproblems" empfunden werden. In der alten wie der neuen PLO-Charta
werden mit keinem Wort Flüchtlinge und deren
"Recht auf Rückkehr" erwähnt.
Ebenso fehlt jegliche Erwähnung Jerusalems. Nach heutigem Selbstverständnis
ist der künftige Staat ohne Ost-Jerusalem als Hauptstadt undenkbar.
Mit den Osloer Verträgen verpflichtete sich Arafat 1993 zu einer
Streichung der anti-israelischen Paragraphen und zu einer Neuformulierung
der Charta. Doch das ist bis heute nicht geschehen.