Thessaloniki:
Das verborgene "Jerusalem des Balkans"
Salonikis kleine jüdische Gemeinschaft kämpft um die
Erinnerung
von Alexander Jossifidis
Anfang des Jahres, am 28. Januar 2007, beging die nordgriechische
Hafenstadt Thessaloniki den alljährlichen Holocaust-Gedenktag. Politiker
und Vertreter der jüdischen Gemeinde pilgerten zum Denkmal für die
ermordeten Juden der Stadt. Sie legten Kränze nieder, hielten Reden und
stellten fest, dass die Einwohnerschaft auch in diesem Jahr wenig
Interesse zeigte.
Dabei war Thessaloniki noch vor hundert Jahren eine hauptsächlich von
jüdischem Leben geprägte Stadt. Auswanderungsbewegungen und
Deportationen während des Zweiten Weltkrieges beendeten dieses Kapitel
der Stadtgeschichte. Eine kurze Spurensuche: «Hier gleich links befindet
sich die Synagoge. Ich kenne die Gegend. Hier habe ich als Kind gewohnt
und in den Straßen gespielt.» Der hilfsbereite ältere Herr mit den
grauen Haaren und der modischen Brille führt zielsicher zur
unscheinbaren und von einem Polizisten bewachten Synagoge. Sie liegt in
der Syngrou-Straße, im geschäftigen Zentrum Thessalonikis. Es ist
Schabbat, und dennoch finden sich keine Beter ein. «Die Synagoge wird
nur noch sporadisch genutzt, beispielsweise an den Hohen Feiertagen»,
erklärt der freundliche Polizist vor dem Hauptportal und legt für ein
paar Minuten seinen Roman beiseite. Wir stehen vor einer der drei
verbliebenen Synagogen der Stadt. Vor dem Zweiten Weltkrieg
repräsentierten 40 Gebetshäuser das jüdische Gemeindeleben. Sie sind
weitestgehend aus dem Stadtbild verschwunden. Der Schutzmann empfiehlt
den Besuch des nahe gelegenen Gemeindezentrums. Eine genaue Adresse kann
er allerdings nicht angeben und diesbezüglich stößt auch die
Ortskenntnis des netten älteren Herrn an ihre Grenzen.
Tatsächlich liegt das Gemeindezentrum versteckt im
ersten Stock oberhalb einer wenig einladenden Einkaufspassage nur ein
paar Häuserblöcke entfernt. Es ist über die Tsimiski-Straße 24
erreichbar, der Zugang ebenfalls von Polizisten gesichert. Hier arbeitet
David Saltiel, ein Mann mit gepflegtem, grauem Schnurrbart. Er ist
Präsident der Gemeinde, welche mittlerweile nur noch circa 1000 Personen
zählt. Sie fallen in einer Stadt, die in ihrem Ballungsraum annähernd
eine Million Menschen ausweist, kaum ins Gewicht. Eine Sekretärin
überreicht eine zweisprachige Broschüre, die über die jüdische
Geschichte Thessalonikis informiert. Sie erzählt von einer
Bevölkerungsgruppe, die bis zum Ersten Weltkrieg über 60.000 Personen
umfasste und damit sowohl die türkische als auch die griechische
Einwohnerzahl übertraf. Sie berichtet aber auch von Deportationen
während des Zweiten Weltkrieges, als die Wehrmacht gemeinsam mit der SS
circa 46.000 jüdische Bewohner Thessalonikis in die
nationalsozialistischen Konzentrationslager verschleppte.
«Der
Holocaust ist ein zentraler Punkt unserer Geschichte», betont David
Saltiel, den folgerichtig der wachsende Antisemitismus in der Stadt
beunruhigt. Besonders entsetzt reagierte das Gemeindezentrum auf eine
Demonstration vor genau einem Jahr, am 1. August 2006. Israel befand
sich im Krieg mit der Hisbollah. Die Medien sprachen von einem
israelischen Angriffskrieg. In der Stadt dominierten antiisraelische
beziehungsweise antijüdische Ansichten. Eine inhaltliche Trennlinie
wurde nicht mehr gezogen, als an jenem Dienstag im August aufgebrachte
Demonstranten das Denkmal für die ermordeten Juden Thessalonikis
stürmten. Randalierer beklebten es mit Fotografien, die zivile
libanesische Opfer des israelischen Feldzuges zeigten. In der
Tsimiski-Straße 24 formulierte man prompt ein Protestschreiben.
Gemeindevertreter wiesen in Presseerklärungen darauf hin, dass die mit
dem Denkmal geehrten Toten des Holocausts in keinem Zusammenhang mit den
aktuellen Krisen im Nahen Osten stehen. «Wir sind Griechen und wir waren
immer Griechen!» gibt David Saltiel zu bedenken. Er verweist auf die
unzähligen griechischen Soldaten jüdischen Glaubens, die in vergangenen
Kriegen für Griechenland gestorben seien. Doch hatten die Juden
Thessalonikis tatsächlich stets eine griechische Identität? Der
griechische Staat ist schließlich noch sehr jung.
Wenige hundert Meter vom Gemeindezentrum entfernt, befindet sich das
Jüdische Museum der Stadt. Es
liegt in der kaum befahrenen Agiou-Mina-Straße. Ein wachhabender
Polizist dient auch hier als Anzeiger für eine jüdische Einrichtung. Der
klassizistische Bau aus dem Jahre 1904 beherbergte ursprünglich die
regionale Dependance der Attika-Bank und Büroräume der jüdischen Zeitung
«L‘Independent», welche in französischer Sprache erschien. Die
umtriebige Leiterin des Museums stellt sich als Erika Perahia Zemour
vor, wobei ihr Nachname bereits auf die Besonderheit der jüdischen
Gemeinde Thessalonikis verweist. Ihre Mitglieder sind zu einem
überwiegenden Anteil Nachfahren spanischer und portugiesischer Juden.
Diese flüchteten im 15. Jahrhundert in das Osmanische Reich, nachdem die
Katholischen Könige der Iberischen Halbinsel ihre Vertreibung initiiert
hatten. Zentraler Anlaufpunkt in der neuen Heimat bildete die weitgehend
entvölkerte Hafenstadt Thessaloniki, eine Stadt, die sich nur mühsam von
ihrer osmanischen Eroberung aus dem Jahre 1430 erholte. Die Sultane
erhofften sich durch die Ansiedlung der so genannten sefardischen Juden
eine Revitalisierung des strategisch günstig gelegenen Ortes. Ihren
Ansiedlungsofferten folgten schließlich 20.000 Vertriebene, welche
fortan das ökonomische Rückgrat Thessalonikis stellten. Zusätzlich
erblühte das kulturelle Leben der Stadt, und die religiöse Gelehrsamkeit
zahlreicher Synagogen-Gemeinden fand europaweite Beachtung. Ein Grund
für den inoffiziellen Beinamen «Jerusalem des Balkans», den die Stadt im
17. Jahrhundert trug.
Als vorherrschende Sprache innerhalb der Stadtmauern setzte sich
allmählich das Judenspanische oder Ladino durch. Eine Sprache, die
heutzutage nur noch von wenigen Einwohnern beherrscht wird. Frau Perahia
Zemour gibt an, dass ihre Großmutter diese Sprache benutzte. Sie selbst
musste sich Ladino als eine Zweitsprache mühsam erschließen. «Die
Menschen interessieren sich überhaupt nicht für die jüdische
Vergangenheit Thessalonikis.» Die Museumsleiterin kann ihre Enttäuschung
hierüber kaum verhehlen. Vielleicht spielt es eine Rolle, dass der
Niedergang der sefardischen Gemeinde bereits vor der Deportation nach
Auschwitz unter deutscher Besatzung einsetzte? Es war ein schleichender
Prozess, der im Jahre 1913 begann, als die Stadt infolge zweier
Balkankriege an den griechischen Nationalstaat fiel. Während die
jüdische Einwohnerschaft in osmanischer Zeit eine kulturelle Autonomie
genossen hatte, sah sie sich in der Folgezeit einem von Athen aus
gesteuerten Assimilierungsdruck ausgesetzt. Kriegsbedingte
Flüchtlingsströme veränderten zudem das Stadtbild. Die moslemische
Einwohnerschaft wanderte ab und wurde durch griechische Flüchtlinge
ersetzt. Diese zumeist mittellosen Neuankömmlinge stellten in den
dreißiger Jahren die Hälfte der Bevölkerung. Armut, Krankheiten und
Hoffnungslosigkeit prägten Thessaloniki und entluden sich 1931 in
anti-jüdischen Ausschreitungen. In einem solchen Klima hielt sich der
griechische Patriotismus unter den sefardischen Juden Thessalonikis in
verständlicherweise überschaubaren Grenzen. Die Zahl jüdischer
Auswanderer stieg kontinuierlich und der Glanz vergangener Tage
verblasste stetig.
Frau Perahia Zemour zeigte sich zum Abschied kämpferisch. «Thessaloniki
begeht den Holocaust-Gedenktag auch 2008 am 28. Januar und damit einen
Tag nach den Feierlichkeiten im übrigen Griechenland. Einige
Schulklassen dürften so in diesem Kontext wieder den Weg in das Jüdische
Museum unserer Stadt finden. Doch es ist noch viel Arbeit nötig, um den
Einwohnern die jüdische Vergangenheit ihrer Stadt näher zu bringen.» Das
engagierte Auftreten der Museumsleiterin lässt vermuten, dass ihr dieses
Vorhaben zumindest ein Stück weit gelingen wird.
«Jüdische Zeitung», August 2007
Rebetika der Woche:
Rosa Eskenasi
Rosa Eskenasi kam in Konstantinopel (Istanbul, Türkei) auf die Welt.
Schon vor der Katastrophe von Smyrna (Izmir) kam die Familie nach
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Die Musik der städtischen Subkultur
Griechenlands:
Rebetiko
Die Volksmusik Griechenlands ist eine faszinierende
Mischung aus West und Ost, wobei sich die orientalischen Elemente
besonders in der Rebetiko-Musik finden...
Musikgeschichte - auch in Israel:
Glykeria -
die Stimme Griechenlands
Die griechische Sängerin Glykeria, bekannt als "The Voice of
Greece", wird in Kürze ihr erstes Album in Hebräisch herausgeben,
als Geste an ihre zahlreichen Fans in Israel... Glykeria, Riki Gal,
Sohar Argow - direkt im [WinMedia-Player
- 5 min., 8MB wmv]...
Terra incognita:
1943 nach Christus
Es war eine elendigliche Siedlung, die Siedlung Hirsch in Saloniki,
zweitausend Seelen beherbergte sie. Haim war einer von ihnen. Er war
Fischer. Und er züchtete Tauben... Etwa zwei Jahrhunderte lang galt
Saloniki als die Stadt, in der weltweit die meisten Juden lebten...
Griechenland:
Die Sonnenblumen der Juden
Eine Anthologie zum Leben und Schicksal der griechischen Juden...
Hsg. Niki Eideneier, Verlag Romiosini...
Radio Tarifa:
Maurische Skizzen
Ach, Europa! Einst soll Zeus von der gleichnamigen Göttin so angetan
gewesen sein, dass er sie kurzerhand aus Sidon kidnappte, einem Ort,
der im heutigen Libanon liegt. Mit Gewalt brachte er sie auf jene
Seite des Mittelmeers, der die Entführte später ihren Namen leihen
sollte. So nahm die Geschichte des Abendlands ihren Anfang...
Sommernachtstraum in Caesaria:
Haris Alexiou & Giorgo Dalaras im Amphitheatron
Haris Alexiou kam 1950 in Theben als Tochter von
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lebt. Hier wurde sie zum Symbol der großen griechischen
Gesangstradition und viele sehen in ihr eine Nachfolgerin der
legendären Rosa Ashkenasi, mit der sie noch 1975, kurz vor deren
Tod, auftreten konnte...
Israeli TV:
Yehuda Poliker & Haris Alexiou
Aufnahmen von den Vorbereitungen und vom Open Air
Concert in Causarea im Sommer 2008...
Im Tel Aviver Mann Auditorium:
Jorgo Dalaras & das Israelische
Philharmonische Orchester
Mi mou thimonis matia mou - oh meine Augen...
haGalil.com
30-08-2007 |