Avi
Primor
»...mit
Ausnahme Deutschlands«
Als Botschafter Israels in Bonn
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IIIc.Teil
Vor schwierigem Terrain
Aus den ersten direkten Kontakten zwischen Deutschen und Israelis im Rahmen
der Wiedergutmachung haben sich nicht selten menschliche Beziehungen
entwickelt. Man lernte sich kennen, sprach miteinander über den persönlichen
Alltag und entdeckte Gemeinsamkeiten – der Anfang eines langen und steinigen
Wegs mit mehreren Ebenen, auf denen es immer wieder Enttäuschungen und
Rückschläge gab, dessen Richtung aber im Laufe der Zeit unumkehrbar geworden
ist.
Vorbehalte und Widerstände, auch Zeichen
entschiedener Ablehnung einzelner Schritte auf diesem Weg gab es auf beiden
Seiten. Meist waren sie um so stärker, je höher die Ebene der
wechselseitigen Bemühungen war. 1958 begegnete der damalige Geschäftsführer
des Weizman-Instituts, des Instituts für naturwissenschaftliche Forschungen
in der Stadt Rehovot, Wissenschaftlern der Alexander-von-Humboldt-Stiftung
auf einer Tagung des CERN (Conseil Européen pour la Recherche Nucléaire).
Intensive Gespräche mit ihnen führten zur Einladung der Deutschen nach
Israel, dort aber stieß die Initiative in anderen Forschungszentren nicht
nur auf Unverständnis, sie verstärkte noch die grundsätzliche Ablehnung
jeglicher Kontakte mit deutschen Wissenschaftlern und Deutschen überhaupt.
Der Streit darüber hat noch jahrelang intern weitergewirkt und die
Zusammenarbeit einzelner Forschungsstätten in Israel überschattet.
Professor Amos de Shalit, der sich 1958, als
er die Einladung aussprach, allein vom Gedanken an eine womöglich
ertragreiche wissenschaftliche Zusammenarbeit hatte leiten lassen, behielt
am Ende recht. Als Attaché im Auswärtigen Amt erhielt ich eines Tages den
Auftrag, einen ausländischen Gast zu begleiten, unter anderem auch zum
Weizman-Institut. Abends fand zu Ehren des Besuchers ein Essen beim
Präsidenten statt, an dem auch de Shalit teilnahm. Ich saß zufällig neben
ihm und nutzte die Gelegenheit, ihn zu fragen: »Was bewog Sie, sich mit dem
Versuch, deutsche Wissenschaftler einzuladen, gegen ganz Israel, vor allem
gegen Ihre hiesigen Kollegen zu stellen?«
De Shalit antwortete geduldig. Meine Frage,
meinte er, berühre im Grunde eine andere, tiefere, nämlich die, weshalb er
überhaupt Naturwissenschaftler geworden sei. »Ursprünglich war dies weder
mein Ziel noch der Wunsch meiner Eltern.« Während der Studienjahre habe er
dann eine überraschende Entdeckung gemacht: »Wir sind doch alle von
Meinungen geprägt, die man uns übermittelt und die wir im Laufe des Lebens
mit einer ununterbrochenen Gestaltung unserer Meinung ergänzen. Nach so viel
Erziehung, Forschung, eigenem Denken sind wir meist von unserer Meinung
überzeugt.« Viele seien dafür zu kämpfen, manche auch zu sterben bereit.
Auch auf dem Gebiet der Naturwissenschaften und der Mathematik sei es so,
nur: »Die Mathematik kann uns den absoluten und endgültigen Beweis liefern,
daß wir trotz unserer ureigensten Überzeugung im Unrecht sind. Vor den
Naturwissenschaften und der Mathematik gibt es keine Diskussion. Die
Wahrnehmung der Grenzen des Menschen hat mich zum einen zur Bescheidenheit
gezwungen und mich zum anderen zu einem Bewunderer der Naturwissenschaften
gemacht, denen ich nun gefolgt bin. Als ich vor den Kollegen aus Deutschland
stand, dachte ich an diese Lektion.« Wer in der Debatte in Israel bezüglich
der Zusammenarbeit mit deutschen Wissenschaftlern letztlich recht habe,
könne er angesichts seiner »Lektion« und deren Schlußfolgerungen nicht
sagen, schloß de Shalit. »Aber ich weiß, daß die Naturwissenschaften recht
haben, und deshalb will ich in diesem Bereich auch mit Deutschen
kooperieren.«
Es dauerte geraume Zeit, bis die Ergebnisse
der Zusammenarbeit von Wissenschaftlern des Weizman-Instituts mit Kollegen
der Humboldt-Stiftung andere wissenschaftliche Institutionen in Israel vom
Sinn und Nutzen dieser Kooperation überzeugt hatten. Es stellten sich
Beziehungen her, wie man sie sich zur Zeit des Professors de Shalit kaum
hatte vorstellen können und wollen. Deutschland entwickelte sich mehr und
mehr zum wichtigsten Partner Israels auf dem Gebiet der zivilen Forschung,
nicht zuletzt, weil die Wissenschaftler beider Länder die anfängliche
Befangenheit überwunden und, jeder für sich, die konkreten Vorteile der
Zusammenarbeit erkannt haben. Das gilt auch für diejenigen Ämter und
Organisationen, die ihnen die Forschungen finanzieren.
Bundeskanzler Helmut Kohl hat mehr als einmal
betont, Deutschland solle außerhalb der Europäischen Union wissenschaftlich
vor allem mit drei Staaten eng kooperieren: mit den USA, mit Japan und mit
Israel. Er habe stärkstes Vertrauen in die israelische Wissenschaft und
Technologie, die Zusammenarbeit mit Israel auf diesen Gebieten könne für
Deutschland nur von allergrößtem Nutzen sein. In den letzten Jahren hat sich
diese Partnerschaft innerhalb der EU erweitert: Dank deutscher Bemühungen,
aufgrund der erfolgreichen deutsch-israelischen Zusammenarbeit,
unterzeichnete die EU 1995 mit Israel als erstem nichteuropäischen Staat ein
Abkommen, das Israel voll in die Forschungsarbeit der Union integriert.
Der Anlaß, in den fünfziger Jahren mit
Deutschland auf einem weiteren Gebiet – diesmal völlig geheim –
zusammenzuarbeiten, ergab sich aus den Erfordernissen der
Landesverteidigung. Israels Verlangen nach äußerer Stärke wuchs damals
parallel zu dem Druck, dem es sich seitens der arabischen Nachbarn
ausgesetzt sah. Erschwerend wirkte nicht nur, daß sich die meisten Länder
strikt an das Waffenembargo hielten, 1953/54 kam es auch zu einer Wende in
der sowjetischen Nahost-Politik, die das militärische Gleichgewicht zwischen
uns und unseren Belagerern ernstlich gefährdete.
Dabei hatte bis 1950 nichts auf eine
grundlegende Änderung im Verhältnis der Sowjetunion zu Israel hingewiesen.
Unsere Bestrebungen, das Ende des britischen Mandats über Palästina
herbeizuführen und Unabhängigkeit in wenigstens einem Teil des Landes zu
gewinnen, waren von Moskau seit 1947 voll und ganz unterstützt worden. Die
Sowjetunion gehörte mit zu den ersten Staaten, die unsere Unabhängigkeit
anerkannten und diplomatische Beziehungen zu Israel aufnahmen. Länder des
Ostblocks, namentlich die Tschechoslowakei, waren die einzigen, die uns –
mit Genehmigung, wenn nicht auf Anweisung der Sowjets – mit Waffen
belieferten.
Bevor die UdSSR sich 1950 allmählich von
Israel zu distanzieren begann, galten wir dort offenbar als wichtiger Faktor
im künftigen Kampf um die Vertreibung der westlichen Kolonialmächte aus dem
Nahen Osten. Die arabischen Länder, meist von England unterstützt und
ausgerüstet, waren entweder britisches, amerikanisches oder französisches
Interessengebiet. Berechtigte da nicht die Tatsache, daß die Juden in
Palästina überwiegend Sozialisten waren und nach dem Untergrundkrieg gegen
die Kolonialmacht England auch gegen deren Verbündete, die Araber, gekämpft
hatten, zu der Hoffnung, Israel könne eines Tages für die Durchsetzung
sowjetischer Machtinteressen in diesem Teil der Erde eine Art Stützpunkt
bilden?
Es verging nur kurze Zeit, bis die
Sowjetunion von dieser Einschätzung abließ. Man begriff, daß Israel damals
zwar von einer sozialistischen Partei regiert wurde, ideologisch, kulturell
und emotional jedoch eng mit den parlamentarischen Demokratien des Westens
verbunden war. Stalins latenter Antisemitismus verwandelte sich von da an in
eine akut gewalttätige und mörderische antijüdische Politik im gesamten
Ostblock. Nur notdürftig getarnt, wurde sie nach außen hin als
»antizionistisch« ausgegeben. War das Gespenst des Kommunismus, mit dem mein
Großvater mich erschreckt hatte, womöglich doch nicht so imaginär, wie es
mir seinerzeit erschienen war?
Die Erkenntnis, daß Israel sich schwer in die
Pläne zur Ausweitung ihrer Machtsphäre im Nahen Osten einbinden lassen
würde, hat bald dazu geführt, daß die Sowjetunion nach potentiellen
Verbündeten in den arabischen Ländern Ausschau hielt. Als richtiger Mann
dafür sollte sich der ägyptische Nationalist Gamal Abd el-Nasser erweisen,
der 1952 durch einen Staatsstreich an die Macht gekommen war. Moskau hat
unterentwickelten Ländern, einschließlich denen des Nahen Ostens, zwar nie
wesentliche Wirtschafts- und Entwicklungshilfe leisten können, um so
schneller und wirksamer aber reagierte es auf entsprechende Ersuchen mit
Waffenlieferungen. Das zeigte sich bei der Aufrüstung der ägyptischen Armee
und später auch anderer Streitkräfte im Nahen Osten: Die Waffentechnik, die
unseren Nachbarländern dank sowjetischer »Hilfe« zur Verfügung stand, war
von modernster, hochentwickelter Art und ließ unsere eigenen Systeme höchst
mangelhaft und veraltet erscheinen.
In dieser prekären Situation wurde der Ankauf
neuer Waffen für Israel zur Lebensfrage. Das erste Land, in dem wir uns um
konkrete Unterstützung bemühten, war Frankreich. Die besonders rege und
vielfältige Zusammenarbeit, die sich daraus entwickelte, hielt bis 1967 an,
unentbehrlich vor allem für unsere Luftwaffe, Marine und Artillerie, wichtig
aber auch für die allgemeine Modernisierung unserer Militärindustrie.
Frankreich vermochte jedoch nicht das gesamte Bedarfsspektrum abzudecken,
das sich am jederzeit möglichen Verteidigungsfall und an der Übermacht der
Nachbarländer orientierte. Deutschland besaß Waffen, beispielsweise Panzer
amerikanischer Herkunft. Panzer waren auch die Stärke der Sowjetunion, nicht
so sehr die Frankreichs, so daß man die Lücke in diesem Bereich vielleicht
durch deutsche Lieferungen hätte schließen können. Doch die Deutschen
verfügten nicht nur über Panzer.
Nach ersten Kontakten erhielten wir –
übrigens zum vollen Preis – aus Deutschland militärisches Gerät, das unsere
Verteidigungskraft stärkte, aber kein eigentliches Rüstungsmaterial
darstellte. Dazu gehörten Fahrzeuge wie amerikanische »half trucks«, die
bereits im Sommer 1955 eintrafen. Später wurden die Lieferungen
umfangreicher. Bis 1964 umfaßten sie Noratlas-Transport- und
Dornier-Flugzeuge, Fouga-Magister-Düsenmaschinen zu Ausbildungszwecken,
Hubschrauber und Lastwagen, Ambulanzfahrzeuge, Flugabwehrgeschütze und
ferngesteuerte Panzerabwehrwaffen. Im Juni 1964, bei einem Treffen mit
US-Präsident Johnson und seinem Verteidigungsminister McNamara, wurde
Bundeskanzler Erhard gebeten, M-48-Panzer, statt sie an die Vereinigten
Staaten zurückzugeben, nach Israel zu liefern. Erhard stimmte zu, nachdem
sich Shimon Peres einverstanden erklärt hatte, die Panzer nicht direkt,
sondern erst nach ihrer technischen Überholung in Italien zu übernehmen.
Doch es kam auch zu Lieferungen in die
Gegenrichtung. So erhielt das Verteidigungsministerium in Bonn zur
Begutachtung eine Uzi-Maschinenpistole, ein israelisches Fabrikat, das sich
1956 im Suez-Feldzug bewährt hatte. Das Ministerium orderte einen größeren
Posten, da die Waffe nach Preis, Qualität und Eignung für besondere Einsätze
ähnlichen Erzeugnissen aus anderen Ländern, die sich an der Ausschreibung
beteiligt hatten, deutlich überlegen war. Auch Munition, hauptsächlich für
Mörser, wurde in Israel bestellt.
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Erschienen 1997 beim Ullstein-Verlag, Berlin
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