Rabin - Ein politischer Mord und die Zeichen an
der Wand
Hetze, Hass und Mord:
Die Rolle der Medien
Amnon Kapeliuk
Nach jedem Terroranschlag auf den Straßen von
Israel nährten und verstärkten die Medien - das war zu erwarten -
Zorn und Wut des Volkes. Die rechten Extremisten verstanden es, sich
ihrer zu bedienen.
Die gewaltigen roten Schlagzeilen der beliebten
Zeitungen trugen häufig zur Hysterie bei. Das Motiv für diese
Eskalation des Sensationellen lag auch in der gnadenlosen Konkurrenz
zwischen den beiden großen israelischen Tageszeitungen und den
Fernsehsendern. Nach der Ermordung kritisierte man, wie so oft, die
Rolle der Medien und warf ihnen vor, Öl ins Feuer gegossen zu haben.
Eine im großen und ganzen ungerechtfertigte Kritik, denn die Medien
spiegeln lediglich Meinungen und Ideen wider, selbst wenn sie den
Beschwörungen der Rechten, das stimmt durchaus, manchmal mehr Platz
eingeräumt haben.
Der Rechtsberater der Regierung hatte zwar auf die
zur Ermordung führende Hasskampagne nicht reagiert, aber nachdem das
Unvorstellbare passiert war, wollte er eine Zensur einführen; er zog
seinen Vorschlag jedoch schnell wieder zurück. Die Presse blieb
weiterhin frei und gab und gibt alle Äußerungen wieder, auch die von
Yigal Amir vor Gericht, über die so viele Menschen schockiert waren.
Im ersten Fernsehprogramm bekommt man in einer
wöchentlichen Sendung, einer Diskussion mit dem Titel Popolitica,
gespickt mit Ordinärem, Grobheit und verbaler Gewalt, eine
Vorstellung von der Stimmung, wie sie auf der Straße an der
Tagesordnung ist. Man diskutiert laut schreiend, niemandem gelingt
es, auch nur einen Satz zu vollenden. Eine Kultur der
Marktschreierei. Sicher verstärkte auch diese Sendung die
öffentlichen Unmutsäußerungen. Zahlreiche Beobachter bedauern, dass
die heftige politische Diskussion zu einem Symbol der israelischen
Gesellschaft geworden ist. In der soeben erwähnten Sendung hatten
die Teilnehmer »buchstäblich den Mund voll Blut«.
Aruz-7, Flackschiff der nationalistischen Hetze
Natürlich brauchte Yigal Amir keine derartige
Sendung, um zum Handeln animiert zu werden. Dennoch war er ein
eifriger Hörer von Kanal 7 (Aruz7 - heute auch 'Israel National
Radio'), dem Sender der Siedler in den besetzten Gebieten, in dem
Rabin und mit ihm seine Regierung ununterbrochen angegriffen wurden.
Das ist ein Piratensender in der Siedlung Beit El bei Ramallah.
Selbst im Gefängnis darf Rabins Mörder seinen Lieblingssender hören
- er hat Anspruch auf ein Radio.
Unter anderem war folgendes vor der Ermordung zu
hören: »Artikel 97 (1977) des Strafgesetzes schreibt vor: Wer der
Souveränität des Landes schadet, den erwartet die Todesstrafe oder
aber eine lebenslängliche Freiheitsstrafe. Was ist ein Verräter? Das
Wörterbuch definiert ihn als jemanden, der das Vertrauen
missbraucht, gegen seine Kameraden, sein Volk oder sein Land handelt
und dem Feind hilft. Was ist Rabin demzufolge?«
Das ist der Tenor des ersten Sprechers des Senders, Adir Zik. Sein
Thema ist unerschöpflich. »Diese Regierung hat den Zionismus
verraten und gegen die Gesetze von Israel verstoßen. Wer der PLO und
Hamas [mit dem Friedensvertrag] Grund zum Feiern gibt, wird eine
passende Antwort bekommen.« »Rabin und Peres, die beiden Verräter,
wurden mit Geld gekauft.« »Es überrascht nicht, daß Rabin gesagt
hat, die Demonstrationen würden ihn nicht dazu bringen, eine andere
Richtung einzuschlagen. Wären Tausende von Menschen gewaltsam bei
ihm eingedrungen oder hätten sie ihn einfach nach draußen
geschleppt, er hätte es sich anders überlegt. Es ist an der Zeit,
Rabin nicht mehr mit Samthandschuhen anzufassen, sondern ihn so zu
behandeln, wie er es verdient hat.«
Und auch das war auf Kanal 7 zu hören: »Rabin versteht nur die
Sprache der Gewalt, dann muß man eben in der ihm vertrauten Sprache
mit ihm sprechen« (Uri Ariel, Vorsitzender des Siedlerrates in den
besetzten Gebieten).
»Nein, Yitzhak Rabin ist kein Nazioffizier, wie in der Fotomontage
auf der Demonstration in Jerusalem gezeigt, er kollaboriert mit
Tausenden von Nazioffizieren. Er läßt sie hinein mitten ins Herz des
Staates Israel mit ihrem Führer Adolf Arafat an der Spitze, um das
jüdische Volk auszurotten« (der Schriftsteller Moshe Shamir am 18.
Oktober 1995).
Übrigens hatte Yigal Amir Avi Rat, einen der Stars von Kanal 7, zu
einem Vortrag an einem von ihm veranstalteten Wochenende in den
Siedlungen eingeladen.
Die "religiöse" Wochenschrift haSchawu'a
Unter den religiösen Zeitungen nimmt die
Wochenschrift Hashawua (»Die Woche«) im Feldzug gegen Rabin eine
Sonderstellung ein. Über ein Jahr lang bis zum Tod des
Ministerpräsidenten übertraf die im Blatt verwendete Sprache alle
anderen an Gewalt und Brutalität. Wiederholt befasste es sich mit
der Frage, ob Rabin wegen seiner Politik sterben müsse. Immer wieder
tauchten in den Spalten die Wörter »Verräter«, »Verrückter«,
»Nichtjude«, »Nazi«, »Kapo« und »Judenrat« auf. Der Chefredakteur
hatte vorgeschlagen. Rabin zu schlagen, »bis das Blut spritzt«.
In einem Artikel ist zu lesen: »Eines Tages wird das
Volk von Israel Rabin und Peres auf die Anklagebank setzen, ihnen
den Prozeß machen, und dann werden sie nur noch zwischen Galgen oder
Irrenanstalt wählen können.« Im August 1995 hieß es, bestimmte
Gruppen würden sogar so weit gehen, Rabins Hinrichtung zu fordern.
Nach der Ermordung stellte die Zeitschrift ihr Erscheinen für einen
Monat ein, danach kam sie wieder heraus. Und auch die Angriffe
wurden wieder aufgenommen. »Ein Mörder bleibt ein Mörder, selbt wenn
er tot ist«, hieß es in der Zeitschrift, in der Yigal Amir als
eindrucksvoller Mann beschrieben wird. Asher Zuckerman, der
Zeitungsherausgeber, sagte dazu: »Unsere Linie wird sich nicht
ändern, dafür gibt es keinen Grund.«
Die verbale Gewalt fanatischer orthodoxer Kreise kannte keine
Grenzen. Am 26. Januar 1995 war Yitzhak Rabin bei einer Zeremonie
zur Vereidigung junger Fallschirmjäger an der Westmauer [Klagemauer]
anwesend. Plötzlich ertönten Parolen wie: »Rabin, Verräter! Rabin,
Mörder!« Die Rufe kamen von der Yeshiva Esh ha-Thora (Aish »Feuer
der Thora«), von der man direkt auf die Mauer blickt. Rabins
persönlicher Referent forderte einen Polizeioffizier auf, den jungen
Studenten diese skandalösen Schreie sofort zu verbieten. Der
Offizier kam seiner Aufforderung nach, aber gleich nach seiner
Rückkehr erklangen die Rufe erneut, diesmal noch heftiger.
"Rabin spaltet das Volk"
In
den religiösen Schulen der Siedlungen erzieht man die Kinder schon
früh zum Haß auf die Araber, die Palästinenser: Wer sich mit ihnen
abgibt, ist bösartig und ein Verräter. Eine solche Erziehung bringt
einen Yigal Amir hervor.
Der israelische Filmemacher Micha Peled drehte in Kiryat Arba, der
Siedlung oberhalb der arabischen Stadt Hebron, in der auch der
Moschee-Attentäter Baruch Goldstein lebte, einen Film mit dem Titel
Gottes Bunker.
Eine Szene drehte er in der Schule dieser Siedlung. Der Lehrer
fragt: »Was habt ihr heute gelernt?« Ein Schüler: »Wir haben
gelernt, dass Rabin das Volk spaltet.« Ein anderer Schüler: »Wir
haben gelernt, dass Rabin Fehler begeht.« Eine weitere Szene zeigt
Kinder der Siedlung im Bus, sie singen: »Alle hassen die Araber.
Aber am wichtigsten ist es, sie zu töten, einen nach dem anderen.«
Und der Refrain: »Ha! Ha! Ha! Ich habe mich noch nicht richtig
gerächt!« Danach skandierte Rufe: »Ami Popper! Keiner kommt Dir
gleich!« Der Israeli Ami Popper hatte 1990 sieben palästinensische
Arbeiter aus Gaza ermordet, dafür wurde er zu einer lebenslänglichen
Freiheitsstrafe verurteilt.
Professor Moshe Zimmermann von der Hebräischen Universität in
Jerusalem, sein Fachgebiet ist das Dritte Reich, sagte in einem
Interview: »Einen bestimmten Teil der israelischen Öffentlichkeit
würde ich ohne zu zögern mit deutschen Nazis vergleichen. Die
Siedlerkinder in Hebron benehmen sich genau wie die Hitlerjugend.
Sie werden mit der Vorstellung aufgezogen, dass alle Araber
Übeltäter und alle Nichtjuden, die Gojim, gegen uns sind. Man macht
sie zu Paranoikern, und sie sind davon überzeugt, daß sie "einer
Herrenrasse" angehören, genau wie die Hitlerjugend.« Die zukünftigen
Amirs und Goldsteins...
Auch nach der Ermordung Rabins wird Siedlerkindern immer noch
eingebläut, dass er für das Böse steht. So veröffentlichte die
Zeitschrift des Regionalrats von Gush Etzion (zwischen Bethlehem und
Hebron gelegen) ein von den Schülern erdachtes »Interview« mit dem
Ministerpräsidenten: »Erlauben Sie, Herr Rabin, wie konnten Sie nur
so ein schreckliches Abkommen unterzeichnen, das soviel Schlimmes
über unser Volk bringt?« Rabin: »Mein liebes Kind, Du weißt also
noch nicht, dass der Teufel sich meiner bemächtigt und mich zu so
gräulichen Taten verführt hat. Ich weine vor Traurigkeit, weil ich
es gewagt habe, die Einheit unseres Volkes zu zerstören.« Und in
diesem Ton geht es weiter...
Nationalismus und rechte Gewalt:
Gott führt Krieg
Der Mord an Rabin in den Augen eines israelischen
Linken...
hagalil.com
05-11-2003 |