Israel
ohne Yitzhak Rabin
Zyniker
könnten sagen, Rabin sei durch seinen Tod von einem Politiker aus Fleisch
und Blut zu einem Märtyrer des Friedens geworden. Tatsächlich war er aber
schon immer viel mehr als ein Politiker in seinem politischen Leben, mehr
als ein General in seiner militärischen Laufbahn. Vielen Israelis war er
schon immer das Bild ihrer selbst, die lebendige Vorstellung ihrer eigenen
Ideale - die Essenz Israels.
Es
ist sehr schwer, Außenstehenden zu vermitteln, welchen Verlust wir alle
durch Jizhak Rabins Ermordung erlitten haben. Mit Rabins Ermordung wurde
unsere eigene Geschichte brutal abgebrochen. Unsere Geschichte, wie wir sie
uns erhofft hatten. Nach diesem Abend eines Schabaths im November 1995
war sie die Geschichte Jizhak Rabins - und der Glaube an die
Erfüllung der Hoffnung auf Frieden - durch Jizhak Rabin - Geschichte.
Sein gesamtes Sein war
ausgerichtet auf die Verteidigung Israels - auf die Erfüllung der Ideale des
ursprünglichen Zionismus. Dessen, was wir uns darunter vorgestellt haben:
Ein Leben in Freiheit und Selbstbestimmung, in Sicherheit und Frieden, in
Respekt und vielleicht sogar nachbarschaftlichem Miteinander.
1948
spielte er eine herausragende Rolle beim Durchbrechen der Belagerung und der
Verhinderung des Aushungerns Jerusalems. 1967 war sein Anteil am
wunderhaften Sieg legendär. An diesem Sieg, der später der 'Gross-Israel-Bewegung'
jenes Land geben sollte, in dem Rabins Ermordung beschlossen wurde.
Jenes Land, von dem er als
erster sagte, dass es ein Pfand sei, ein Pfand für den Frieden - und er
wiederholte dies immer wieder.
1995 schien es, daß er das
Ziel erreichen würde. Jizhak Rabin versprach uns die Verwirklichung unserer
Hoffnung. Die Verwirklichung unseres fast vergessenen Traumes. Wenn ich
heute daran zurückdenke, gestehe ich: Ich habe gar nicht begriffen wovon er
sprach. Viele konnten es schon nicht mehr glauben. Viele verstanden gar
nicht die Ungeheuerlichkeit seines Tuns. Rabin war losmarschiert - uns und
unseren Kindern den Frieden zu bringen.
Wiedereinmal hatte er
unsere Angst hinter sich gelassen. Und wir haben es nicht verstanden - wir
haben ihn alleine gelassen.
Rabin
war Erster im Krieg und Erster im Frieden. Er war der Erste und der Abstand
zu ihm wurde immer größer. Wir waren bereits korrumpiert und entmutigt,
enttäuscht und resigniert. Korrumpiert durch die Besatzung, entmutigt von
der Gewalt des Nationalismus, erfüllt von unserer Enttäuschung.
Undankbare und Unwissende
wurden aufgehetzt von fanatischen Meinungsmachern, die ihnen beibrachten,
Rabin sei ein Verräter, Rabins Ziel sei die Zerstörung Israels.
Zerstört wurde Jizhak
Rabin. Erst danach begriffen wir, was er getan hatte - und wieviel Hoffnung
er uns gegeben hatte. Wir begriffen, was er für uns getan hatte - und wie
allein wir ihn gelassen hatten.
Haben die nationalen
Hetzer Israel zerstört?
Niemand übernahm
Verantwortung. Keiner stand auf und sagte 'Ich habe Blut an den Händen'. Nur
Jigal Amir grinste und war stolz.
Alle,
die 'Verräter' geschrien hatten, all' jene unter unseren Rabbinern, die
Todesurteile gesprochen hatten, alle, die Rabin verflucht hatten, die
Programmierer des Todeskommandos - sie alle verdeckten ihre moralische
Erbärmlichkeit hinter dem Feigenblatt der beschworenen 'nationalen Einheit'.
Bis an's Grab folgten sie ihm mit geheuchelter Pietät zur 'Heiligkeit
menschlichen Lebens'.
Seinem Tod folgte
betäubende Trauer. Ein Gefühl ausserhalb der Realität. Wir flohen aus der
Realität - wir flohen vor der Erkenntnis unserer Verantwortung: Wir alle
haben es gesehen, wir alle haben es gehört. Wir alle haben uns gefürchtet
und fast alle haben geschwiegen.
Wie sollte Israel ohne
diesen Mann Israel sein? Ohne seine tiefe, zögernde Stimme der Versicherung?
Ohne seinen tiefen etwas schüchternen Blick für das Wesentliche?
Wer sollte uns nun daran
erinnern, dass die Mission des Zionismus die nationale Wiedergeburt und
nicht das Bevölkern subventionierter Immobilien mit Fanatikern war? Wer
sollte nun die Mehrheit der Israelis davon überzeugen, dass wir 'unser Land'
um des Friedens Willen teilen können? Wer sollte nun die Palästinenser davon
überzeugen, mit Entschiedenheit zu den Vereinbarungen zu stehen? Wer sollte
nun 'Security' sagen und nicht 'Real-Estate' meinen?
Nur er könnte mit der
Sicherheit von Israel betraut werden, wenn die Vereinbarungen auf den Punkt
gebracht würden. Nach Rabins Ermordung verlor der Friedensprozeß sein Herz.
Verlor Israel sein Herz? War dies alles vielleicht unvermeidlich?
Der
Mord an Rabin war viel mehr als eine politische Tragödie. Es war eine
persönliche Tragödie für viele von uns, denn ein Teil von uns
allen wurde brutal zerbrochen.
Das Klagen sollte ein Ende
haben, aber unser Klagen hat noch immer kein Ende. Beklagen wir den
verlorenen Frieden? Beklagen wir Rabin - einen Mann? Beklagen wir Rabin -
einen Vater? Beklagen wir uns?
Es ist schwierig zu
wiegen, welcher Schmerz - bis heute - und sicher noch viel länger - am
schwersten wiegt.
Ami Isserof und
David Gall, November 1998
Hunderttausende
Israelis gedenken Izchak Rabin
1998 - Drei Jahre nach der
Ermordung von Ministerpräsident Rabin haben in Israel Hunderttausende
Menschen des Attentats gedacht. Rabin war 1995 bei einer Friedenskundgebung
in Tel Aviv von einem jüdischen Extremisten erschossen worden. Seine
Anhänger forderten jetzt die Fortsetzung von Rabins Friedenspolitik. Rabins
Witwe Lea, sein langjähriger Weggefährte Shimon Peres und
Verteidigungsminister Mordechai hielten am Ort des Attentats Ansprachen.
Zum 11.Cheschvan 5756 / 4.November
1995Sie finden hier den
Text von Shir laShalom
(hebr., deutsch, engl. - auch als ra-file zu hören). Auf derselben Seite
finden Sie ausserdem eine Diskussion um Jizhak Rabin bzw. zum Text des
Shir laShalom - (November 1995).
Literatur zum Thema:
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