
Soeben habe ich in der ungarischen Nachrichtenagentur gelesen, daß der
ungarische Ministerpräsident Viktor Orban, nach vielen anderen
Auszeichnungen, auch in Deutschland, jetzt auch in den USA einen
Ehrendoktortitel bekommt, und zwar heute...
Ungarns Premier Orbán als Gast bei
den Rechtsradikalen
Magdalena Marsovszky
Regelmäßig besucht der ungarische
Ministerpräsident Viktor Orbán die Redaktion der rechtsradikalen Hetzsendung
,Vasárnapi Újság' (dt. Sonntagsmagazin) des öffentlich-rechtlichen ,Kossuth
Rádió Budapest', so zuletzt Ende Januar 2002.
Woche für Woche wird hier
rechtsradikalen Ansichten breiter Raum gewährt, trotzdem gilt sie in Ungarn
allgemein als seriös und zitierfähig, so dass die dort gesendeten Interviews
und Kommentierungen in den Folgenachrichten stündlich zitiert werden. Viktor
Orbán stellt sich jedes Mal bereitwillig für ein einstündiges Gespräch zur
Verfügung, schließlich gehört es ja zu seinen Lieblingsprogrammen. ,Auch
Radiosendungen höre ich selten, /.../ das 'Sonntagsmagazin' ist die einzig
erfrischende Ausnahme." - sagte er in einem Interview.
Zu den Favoriten des ungarischen
Premiers gehört weiterhin nach eigener Aussage die Wochenzeitschrift ,Magyar
Demokrata' (dt. Ungarischer Demokrat), ein rechtsradikales Blatt, das die
großzügige finanzielle Unterstützung der Regierung genießt und seine
parteipolitische Sympathie nach dem Wahlsieg der Konservativen in Österreich
mit dem großformatigen deutschen Titel ,Grüß Gott, Haider" bekundete. Dass
es regelmäßig mit Fotos von Regierungsmitgliedern betitelt ist, mit denen im
Heft Interviews geführt werden, gilt bei den ungarischen Konservativen als
nicht im geringsten anstößig. Eine weitere Tageszeitung, die ,Magyar Nemzet"
(dt.: Ungarische Nation), in dem rechtsradikale Publizistik ebenfalls an der
Tagesordnung steht, wird zwar von Orbán nirgends ausdrücklich gewürdigt,
doch sie gilt als Regierungsorgan und wurde neulich in einem unabhängigen
Blatt nach dem Muster des ehemaligen deutschen ,Völkischen Beobachters"
treffend ,Ungarischer Beobachter" bezeichnet.
Rassistischem und antisemitischem
Gedankengut eröffneten sich in Ungarn in den letzten Jahren die wichtigsten
Kanäle und machten diese nach und nach gesellschaftsfähig. Die
rechtsradikale Partei für Ungarische Gerechtigkeit und Leben, MIÉP, seit
1998 als die Oppositionspartei rechts außen im Parlament vertreten, hat
sogar Frequenzen für einen eigenen, kommerziellen Radiosender, das ,Pannon
Rádió' erhalten, wo sie sich unverschlüsselt auslassen kann. Dies alles ist
möglich, weil die MIÉP als "Opposition der Opposition" bei Abstimmungen
sozusagen ein ,natürlicher Verbündeter" der rechtskonservativen
Regierungskoalition ist. Diese sichert ihr dafür die Möglichkeit, sich
Geltung zu verschaffen, so z.B. mit der Berufung eines Redakteurs von
,Sonntagsmagazin' zum Leiter der Abteilung Innenpolitik von Kossuth Rádió,
der wiederum seinerseits den ehemals berühmten Literaten und heutigen Chef
von MIÉP, István Csurka, den Zuhörern durchwegs als glaubwürdigen Politiker
präsentiert. Proteste dagegen werden im Keim erstickt, Kritiker bis zur
Selbstkündigung gemobbt oder durch ,Schwarze Listen' eingeschüchtert, die
dann durch Orbán im Parlament verlesen oder in ,Magyar Nemzet'
veröffentlicht werden.
Antisemitische Äußerungen fallen selbst
in der Regierungskoalition. Bekannt sind die Ausfälle des Vizevorsitzenden
der stärksten Koalitionspartei der Jungdemokraten FIDESZ, László Kövér, der
die sozialistische und liberale Opposition als ,geistig vaterlandslose"
denunzierte, und die eines Vorstandsmitgliedes von FIDESZ, Zsolt Bayer, der
zugleich stellvertretender Direktor für Kultur im öffentlich-rechtlichen
Duna TV, kultureller Berater des Ungarischen Fernsehens und Publizist des
erwähnten ,Magyar Nemzet' ist. Bayer währte sich unlängst in einer
Fernsehsendung gegen den Vorwurf des Antisemitismus wie folgt: ,Diese ganze
Judenfrage, diese ganze militante, ekelhafte Hysterie /.../, was diese
Niemands immer wieder beschreiben und dadurch wach halten /.../ diese
hysterischen Verbrecher schreiben über nichts anderes." ,Wir haben etwa 500
jüdische Zeitgenossen, die davon leben möchten, dass sie Juden sind".
Dennoch kann die Partei nicht als durchwegs antisemitisch bezeichnet werden,
sondern eher als rechtskonservativ-populistisch und nationalistisch. Sie
bereitet aber mit ihrer Kommunikationsstrategie den Boden für eine neue
völkische Front.
Ungarn wird dabei wie ein gigantisches
Werbeunternehmen geführt. Als wichtigstes PR-Instrument in der 1998 neu
aufgestellten konservativen Werteskala scheint die Regierung gerade die
öffentlich-rechtlichen Medien zu betrachten. Da die Sozialisten als
,Wendemanager" bereits 1989, noch vor den ersten demokratischen Wahlen,
Teile der Medien in die Hand westlicher - vor allem deutscher - Großkonzerne
überspielt hätten, so der Vorwurf der Konservativen, sei ,die ganze
ungarische Öffentlichkeit /.../ den internationalen Kapitalgesellschaften
ausgeliefert", weshalb "jeder Buchstabe, jeder Ton" "fremden Interessen"
diene, lüge und "irreführend" sei. Zudem hätten vierzig Jahre
Realsozialismus den Sozialisten einen derart großen Vorsprung gesichert,
dass sie die Medien weiterhin dominierten, weil sie zusammen mit den liberal
gesinnten Journalisten eindeutig in der Überzahl seien. Nach seinem
Machtantritt nahm sich daher Viktor Orbán vor, konservativ gesinnten
Journalisten und Presseorganen durch eine "positive Diskriminierung" unter
die Arme zu greifen. Medienpolitik sei von strategischer Wichtigkeit, hieß
es, und auf Kommunikation wird seitdem höchster Wert gelegt.
Tatsächlich sind heute die
gewinnträchtigsten Medien in westeuropäischer bzw. amerikanischer Hand,
während die rein ungarischen entweder um das Überleben kämpfen, von
Förderungen wie z.B. durch die Soros-Foundation abhängig sind oder - wie
beschrieben - von der Regierung unterstützt werden. Das heißt, dass zwar das
staatliche Nachrichtenmonopol des Realsozialismus' endgültig abgeschafft
wurde, jedoch die Medien nicht - wie erhofft - demokratisiert worden,
sondern vielmehr dem Diktat des Marktes ausgeliefert sind.
Orbáns Maßnahmen zur Einflussnahme auf
die Medien sind also bereits eine Reaktion auf den Druck des Marktes, den er
mit einem von Staats wegen angeordneten Wertkonservatismus abschwächen will.
Dieser Konservatismus ist jedoch in den letzten Jahren zum Völkischen
verkommen. Da sich das Volk durch den infolge ständiger Fremdherrschaft über
die Ungarn andauernden Weltschmerz allgemein eher zu den Opfern als zu den
Tätern zählt, werden vor allem seine heroischen Taten, die nationale
Homogenität und ein organischer, dem Ungartum immanenter spezifischer
Charakter in den Vordergrund gestellt. Zudem sind die ungarischen Medien von
einer auf Ressentiments basierenden symbolisch-politischen Sprache
durchdrungen, die der Bevölkerung eine sozusagen ,großungarische"
Anschauungsweise vermittelt.
Trotzdem: Zu glauben, dass es ein rein
ungarisches Problem sei, wäre Selbsttäuschung. Selbst im Bewusstsein der
kritischen deutschen Öffentlichkeit scheinen Kenntnisse über die Entwicklung
der politischen Kultur in Ungarn und über die Zusammenhänge dieser
Entwicklung mit der aus dem Westen ,exportierten' Marktwirtschaft weit
gehend zu fehlen. Neueste Forschungen beweisen, dass westliche
Medienunternehmen durch ihr Auftreten in Ungarn wesentlich zur
Boulevardisierung der Medien, zur Dominanz von wirtschaftlichen Interessen
und somit zur Verhinderung der demokratischen Entwicklung der Medien
beitrugen. Dennoch scheinen sie ohne den begleitenden Druck einer kritischen
demokratischen Öffentlichkeit ihre im Westen etwa noch vorhandenen
Firmenphilosophien in Ungarn abzulegen und dort nur noch am Gewinn
interessiert zu sein. Wie in allen anderen, so wurde auch im Medienbereich
der bisherige Prozess der EU-Integration beinahe gänzlich dem Markt
überlassen, während politische Investitionen zur Stärkung des
Demokratisierungsprozesses weit gehend außer acht gelassen wurden.
Am Beginn müsste ein kritischer
internationaler Medienaustausch stehen. Doch wenn Initiativen dazu mit der
Begründung abgelehnt werden, es sei ,nicht unsere Aufgabe, uns um Rassismus
und Pressefreiheit in Ungarn zu kümmern", wie neulich in München geschehen,
dann zeigt es nur, in welch hohem Maße unser eigenes Wertesystem gefährdet
ist. Wenig ermunternd erlebt man in Ungarn auch den jährlichen Länderbericht
der EU-Kommission. Dort wird die Meinung suggeriert, die Schuld dafür, dass
in den Medienkuratorien nur Delegierte der Regierungskoalition sitzen, liege
bei der Opposition. Sie hätte sich ja auf keine gemeinsamen Kandidaten
einigen können, behauptet die Regierung,, nun auch moralisch gestärkt. Dabei
wird geflissentlich außer acht gelassen, dass die linke Opposition dazu mit
der ebenfalls ,oppositionellen" rechtsradikalen Partei MIÉP verhandeln
müsste, was sie jedoch aus verständlichen Gründen strikt ablehnt. Wenn dann
noch der ungarische Ministerpräsident Orbán den Franz-Josef-Strauß-Preis der
CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung bekommt und dabei als ,überzeugter Europäer"
gewürdigt wird, der mit seiner Politik ,entscheidende Impulse" für das
Zusammenwachsen in Europa gesetzt habe, dann fragen sich viele in Ungarn:
,quo vadis Europa?".
Ungarns Weg nach rechts
außen
Der Artikel wird im März in der
Gewerkschaftszeitung ver.di IG Medien "M" erscheinen.
Die Verfasserin ist Kunsthistorikerin (M.A.) und Kulturmanagerin (M.A.) und
lebt als freie Journalistin in München.
m.marsovszky@netsurf.de
MAGDALENA MARSOVSZKY
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taz Nr. 6353 vom 23.1.2001
Übersicht - Ungarn
E
= Europa
hagalil.com / 11-02-02
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