Bubis war ein überzeugter Liberaler und
Weltbürger, kommunalpolitisch in Frankfurt für die FDP engagiert und spielte
im Weltjudentum eine wichtige Rolle. Sein Streiten für das neue,
demokratische Deutschland und sein Kampf gegen Neonazis, gegen Rassismus und
Intoleranz aber endeten verbittert.
Er habe «nichts erreicht», klagte er noch im
Juli in einem Interview des «Stern». Weder sei das deutsch-jüdische
Verhältnis normalisiert, noch fühlten sich die Deutschen für Auschwitz
verantwortlich. «Ich habe gegen Wände gesprochen», beschrieb er in einem
dpa-Interview im vergangenen Herbst seinen Kampf gegen Antisemitismus und
Geschichtsverdrängung; 30 Prozent der Deutschen seien noch immer
antisemitisch eingestellt.
Der Schlüssel zum Verständnis seiner Depression
waren die Reaktionen in Deutschland auf die Friedenspreisrede des
Schriftstellers Martin Walser im Oktober 1998. Walsers zumindest sehr
missverständliche Rede über die angebliche «Instrumentalisierung von
Auschwitz» und über das Nicht-mehr-Hinsehen-Können, wenn es um die
Verbrechen der deutschen Nazis gehe, hatten Bubis tief empört. Fast noch
schlimmer empfand er die allgemeine Zustimmung auf die Rede vor Ort - in der
Frankfurter Paulskirche - und danach von deutschen Politikern und
Intellektuellen.
Der gebürtige Breslauer antwortete auf die
Frage nach seiner Heimat am liebsten «Frankfurt» - nicht Deutschland. Er
wolle auch nicht hier begraben werden, sagte er in einem seiner letzten
Interviews. Er wolle in Israel seine letzte Ruhe finden - ganz
offensichtlich beschäftigte sich der 72-Jährige intensiver denn je mit
seinem Tod. Noch Mitte der 90er Jahre hatte er Israels damaligen
Staatspräsidenten Ezer Weizmann offen widersprochen und betont, dass sehr
wohl Juden wieder in Deutschland eine Heimat haben.
Aber Bubis wird dennoch in den Geschichtsbücher
einen Platz als großer Deutscher finden. Denn der Mann, der von den Nazis
ins Arbeitslager gesteckt wurde, dessen Vater und zwei seiner Geschwister
von den Schergen Hitlers ermordet wurden, dem schließlich auch noch als
Geschäftsmann in der Bundesrepublik ein neuer, zuweilen links- verbrämter
Antisemitismus entgegenschlug, war einer der wichtigsten Verteidiger des
modernen Deutschlands.
Bubis verstand es, mit seiner Unbeirrbarkeit in
der Sache gleichermaßen als Ankläger wie als Verteidiger Deutschlands
akzeptiert zu werden. Er warnte unüberhörbar davor, Ausbrüche an Fremdenhass
im wiedervereinigten Deutschland zu verharmlosen, er prangerte die Gefahr
für Demokratie und Menschlichkeit an, gleich ob es um Anschläge gegen
Ausländerheime ging oder fragwürdige Gerichtsurteile gegen Rechtsradikale.
Aber er verteidigte die Bundesrepublik auch gegen Vorurteile und pries das
moderne Deutschland als ein demokratrisches Land «mit ebenso viel und ebenso
wenig Antisemitismus wie in anderen europäischen Ländern auch.»
Bubis wirkte meist sehr gelassen und abgeklärt,
ohne temperamentlos zu sein. Ein Realist, der nicht rauchte oder trank,
unter dessen Arbeitswut seine Familie - Frau und Tochter - hin und wieder
litten. Bubis suchte die Öffentlichkeit, die Talk-Shows und Interviews, er
ging viel in Schulen, war auf Veranstaltungen präsent. Als persönliche
Schwächen nannte er auch Gutgläubigkeit - am Ende seines Lebens schien er
sich auch von den Deutschen, und insbesondere der politischen und geistigen
Elite getäuscht zu fühlen.