Tschechisches Telegramm
Ausradiert und vergessen:
Die Zerstörung von Lezaky
Kapitel aus der Tschechischen Geschichte von
Katrin Bock
Das Schicksal des böhmischen Dorfes Lidice
ist in aller Welt bekannt. Als Vergeltungsakt für das Attentat auf den
stellvertretenden Reichsprotektor Reinhard Heydrich war das kleine Dorf am 10.
Juni 1942 vernichtet worden, die Männer an Ort und Stelle erschossen, die
Frauen und Kinder in Konzentrationslager verschleppt.
Während des Zweiten Weltkriegs wurde Lidice zum
internationalen Symbol des Freiheitskampfes gegen die Nationalsozialisten.
Lidice verschwand nicht von der Landkarte und im Vergessen, wie es die
deutschen Okkupanten verkündet hatten. Gleich nach Kriegsende begann man mit
dem Wiederaufbau. 145 Frauen und 17 Kinder kehrten zurück und bezogen die
neugebauten Häuser.
Ein
ganz anderes Schicksal hatte dagegen das kleine ostböhmische Dorf Lezaky. Am
24. Juni 1942 wurde auch dieses von den deutschen Okkupanten im Rachefeldzug,
der auf das Attentat auf Reinhard Heydrich erfolgte, vernichtet. Die Männer
und Frauen wurden erschossen, die Kinder in KZs verschleppt, die Häuser
niedergerissen. Das Dorf Lezaky verschwand von der Landkarte und im Gegensatz
zu Lidice verschwand es auch im Vergessen - oder kennen Sie Lezaky?
Es gibt zwei grosse Unterschiede zwischen
Lezaky und Lidice. In Lidice lebten zum Zeitpunkt seiner Zerstörung rund 500
Menschen, in Lezaky waren es lediglich knapp 50. Lidice hatte mit dem Attentat
auf Heydrich nichts zu tun. Die Vernichtung traf eine völlig unschuldige
Gemeinde, in der unschuldige Menschen ihr Leben führten. Vielleicht hatten
einige von ihnen wie viele andere Tschechen heimlich ausländische Radiosender
gehört oder Schriften des Widerstands gelesen. Einige Bewohner von Lezaky
aber, gehörten wirklich dem Widerstand an. Unter anderem war in diesem kleinen
Dorf ein Sender versteckt, über den Nachrichten an die tschechoslowakische
Exilregierung in London vermittelt wurden.
Reinhard
Heydrich hatte nach seiner Ankunft in Prag im Herbst 1941 begonnen, gegen
Mitglieder des tschechischen Widerstands vorzugehen. In den ersten drei
Monaten seiner Amtszeit als stellvertretender Reichsprotektor wurden rund 500
Todesurteile gefällt, über 5.000 Tschechen wurden verhaftet. Die tschechische
Untergrundsbewegung wurde zwar empfindlich geschwächt, doch sie hörte nie auf
zu existieren.
Auch der Historiker Robert Kvacek bestätigt dieses: "Der tschechoslowakische
Widerstand war nicht so klein, wie man manchmal im Westen dachte und denkt. Er
hatte nur spezifische Formen. Das Attentat auf Heydrich beweist, dass der
Untergrund im Protektorat zu außergewöhnlichen Taten im Stande war. Denn ohne
ein gut funktionierendes Widerstandsnetz, ohne all die Menschen, die den
Attentätern geholfen haben, hätte der Anschlag auf Heydrich gar nicht erfolgen
können."
Zu dem von Robert Kvacek erwähnten Widerstandnetz lässt sich auch Lezaky
zählen, denn hier fanden aus England gesandte tschechische Fallschirmspringer
für einige Wochen Unterschlupf.
Ende 1941 reifte in London der Plan, tschechische Fallschirmspringer in das
Protektorat zu bringen. Dort sollten sie Kontakt zu existierenden
Widerstandsgruppen aufnehmen und ein Attentat auf eine führende Persönlichkeit
verüben. Die tschechoslowakische Exilregierung in London wollte dadurch den
Alliierten zeigen, dass trotz der Maßnahmen Heydrichs im Protektorat noch
immer genügend Widerstandskräfte existierten und sich dessen Bewohner nicht
mit den deutschen Besatzern zu arrangieren begannen. In der Nacht vom 28. auf
den 29. Dezember 1941 landeten drei Gruppen mit ihren Fallschirmen in Böhmen:
Silver A, Silver B und Antropoid genannt. Die letztgenannte Gruppe bestand aus
Jozef Gabcik und Jan Kubis. Diese zwei führten am 27. Mai 1942 das Attentat
auf Heydrich aus. Die erste Gruppe, Silver A, bestand aus drei Soldaten, die
einen Sender dabeihatten. Dessen Deckname war Libuse. Die Aufgabe der Gruppe
Silver A war es, Kontakt zwischen London und den beiden Attentätern zu halten.
Ihr Quartier hatte Silver A in der Nähe von Pardubice. Von verschiedenen
Verstecken aus wurden Meldungen nach London gesendet - unter anderem auch aus
Lezaky und dem nah gelegenen Steinbruch Hluboka.
Zu jenem Zeitpunkt lebten in Lezaky 16 Männer, 17 Frauen und 14 Kinder. Die
Männer arbeiteten fast alle im nahen Steinbruch Hluboka. Dessen Verwalter,
Jindrich Vasek, war Leutnant der aufgelösten tschechoslowakischen Armee. Die
Mitglieder von Silver A suchten nach ihrer Ankunft im Protektorat Kontakt zu
verlässlichen ehemaligen Soldaten - Jindrich Vasek war einer von diesen.
In der Umgebung von Pardubice war eine Widerstandsgruppe tätig, die sich Cenda
nannte. Ihre Hauptarbeit war die Verbreitung und Herstellung illegaler
Flugblätter. Einer ihrer Mitglieder, Jindrich Svanda, war Müller in Lezaky.
Auch der für Lezaky zuständige Wachmeister, Karel Knez, half, die
Fallschirmspringer und ihren Sender zu verstecken.
Im Steinbruch Hluboka bei Lezaky wurde der Sender der Silver A Gruppe
stationiert. Von hier wurden zu Beginn des Jahres 1942 Meldungen an die
Exilregierung in London gesendet. In den folgenden Wochen zog der Sender
einige Male um, im April 1942 kehrte er nach Lezaky zurück, zunächst in den
Steinbruch, dann in den Kirchturm und schließlich in die Mühle von Jindrich
Svanda. Nach dem Attentat auf Heydrich am 27. Mai wurde die Lage für die
Mitwisser gefährlich - die sogenannte Heydrichiade begann, der Rachefeldzug
der Nazis, in dessen Verlauf 1.300 Tschechen hingerichtet, und Tausende in KZs
verschleppt wurden.
Die deutschen Okkupanten ahnten, dass der illegale Sender Libuse seine Signale
in der Nähe von Parubice ausstrahlte, doch den genauen Standpunkt konnten sie
trotz aller Bemühungen nicht orten. Vielleicht wäre das Schicksal der Gemeinde
Lezaky und seiner Bewohner glücklich ausgegangen, wäre es Mitte Juni nicht zu
einem Verrat gekommen. Einer der Fallschirmspringer, Karel Curda, packte unter
dem Druck der Gestapo aus. Er nannte Helfer und Helfershelfer, Kontaktadressen
und den Namen Lezaky - für dessen Bewohner glich diese Erwähnung einem
Todesurteil.
Auch wenn der Gestapo klar war, dass die meisten der Bewohner von Lezaky nicht
im Untergrund aktiv waren und von der Existenz des illegalen Senders keine
Ahnung hatten, beschloss man ein weiteres Exempel zu statuieren: Entsprechend
Hitlers direkten Anweisungen, jedes Dorf, in dem die Attentäter Hilfe und
Unterstützung gefunden hatten, zu vernichten und dessen Einwohner zu
erschiessen, sollte die Gemeinde vom Erdboden verschwinden.
Dies geschah am 24. Juni 1942: Um 2 Uhr nachmittags war Lezaky von SS und
Sicherheitspolizei umzingelt. Die Bewohner von Lezaky wurden im nahen
Steinbruch zusammengetrieben. Die 16 Männer, 17 Frauen und 14 Kinder wurden
daraufhin nach Pardubice in das Zamecek genannte Gestapo-Quartier gebracht.
Ohne Gericht oder Verurteilung wurden dort noch am gleichen Tag alle Männer
und Frauen erschossen.
Die 14 Kinder wurden nach Prag gebracht, wo über ihr weiteres Schicksal
entschieden wurde: Die Kinder, die in den Augen der Nazis nicht zur
Germanisierung taugten, wurden in ein KZ verschleppt. Die Häuser des Dorfes
wurden noch am gleichen Tag angezündet, später abgerissen - nichts erinnerte
mehr daran, dass an jener Stelle ein kleines Dorf stand.
In der Protektoratspresse erschien eine kurze Meldung: "Am 24. Juni wurde die
Ortschaft Lezaky bei Louka, Kreis Chrudim, dem Erdboden gleichgemacht. Die
erwachsenen Bewohner wurden entsprechend des Standrechts erschossen. Die
Einwohner haben die tschechischen Fallschirmspringer, die großen Anteil bei
der Vorbereitung des Attentats auf den SS Obergruppenführer Reinhard Heydrich
hatten, beherbergt und versucht, sie vor polizeilichem Eingreifen zu retten."
Lezaky
wurde nach Kriegsende nicht wieder aufgebaut - es gab keinen, der in den neuen
Häusern hätte wohnen können. Nur zwei kleine Mädchen kehrten 1945 zurück. Sie
waren die einzigen Kinder aus Lezaky gewesen, die von einer deutschen Familie
zur Germansierung adoptiert worden waren. Die anderen 12 Kinder aus Lezaky
traf wahrscheinlich das gleiche Schicksal wie die Kinder aus Lidice: sie
wurden in einem KZ vergast.
Die drei Fallschirmspringer der Gruppe Silver A, die in Lezaky Unterschlupf
gefunden hatten, überlebten den Krieg nicht. Alfred Bartos fand bereits am 21.
Juni bei einer Verfolgungsjagd den Tot. Josef Valcik nahm sich ebenso wie die
beiden Attentäter Jozef Gabcik und Jan Kubis und drei weitere
Fallschirmspringer am 18. Juni das Leben, nachdem ihr Versteck in Prag
verraten worden war. Jiri Potusek gelang es noch, eine Meldung über das
Schicksal von Lezaky nach London zu senden, am 2. Juli 1942 wurde er von
seinen Verfolgern erschossen.
Auf dem Gelände des ehemaligen Lezaky befindet sich nun eine Gedenkstätte.
Kleine Kreuze stehen an den Stellen, an denen sich einstmals ein Haus befand.
Ende Mai wurde in Prag eine Ausstellung über das Attentat auf den
stellvertretenden Reichsprotektor Heydrich eröffnet. Premier Milos Zeman
erwähnte bei dieser Gelegenheit den Widerstand der einfachen Leute, der heute
oftmals vergessen ist: "Meine Achtung und Bewunderung gilt nicht nur den
Fallschirmspringern, sondern vor allem all den Namenlosen, die die
Fallschirmspringer versteckten, ihnen halfen, sie versorgten. Wirklicher Mut
äußert sich oftmals in der Vielzahl kaum sichtbarer, kleiner Taten, ohne die
es aber weder zu diesem Attentat auf einen Menschen kommen konnte, der das
tschechische Volk ausrotten wollte, noch zur Erneuerung der Demokratie".
Zu jenen beachtenswerten Namenlosen gehören ohne Zweifel die Bewohner von
Lezaky, die durch ihren Mut und Entschlossenheit ein klein wenig zum Gelingen
des Attentats beigetragen hatten und teuer dafür bezahlen mussten.
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[Tschechische
Häftlinge im Konzentrationslager Dachau]
Von
Zuzana Mosnáková
Zur Diskussion im Forum: [Nationalsozialistische
Konzentrationslager]
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haGalil.com 26-07-2004
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