Satirisch contra sachlich:
Keine Sorge ist groß genug, um darüber zu verzweifeln
Neue Bücher von Henryk M. Broder und Richard Chaim
Schneider zur aktuellen Situation in Israel
Von Uwe Sauerwein
"Jihije beseder", es wird schon gutgehen: der
Standardspruch der Israelis. Ob die Wirtschaftsdaten düster sind, ob die
Müllabfuhr mal wieder streikt, ob die Regierung wie fast immer heillos
zerstritten ist oder bei der soundsovielten Nahost-Konferenz nichts
herauskam: Keine Sorge ist groß genug, um darüber zu verzweifeln. Wird sie
doch schon im nächsten Moment von einem anderen Problem in den Schatten
gestellt.
Israel ist in diesen Tagen 50 geworden. Die
Geburtstagsfeiern wurden im Land eher beiläufig frequentiert, zumal man
sich schon vorher gestritten hatte, in welcher Form das Jubiläum
offiziell begangen werden sollte. Spätestens seit Jitzchak Rabin durch
die Kugeln eines jüdischen Fanatikers starb, geht in Israel ein Gespenst
um: daß der junge Staat nicht am arabischen Erzfeind, sondern an seiner
inneren Zerrissenheit zugrunde geht.
Fast unübersehbar ist die Anzahl der Publikationen
anläßlich des Jubiläums. Manches ist eilig zusammengeschustert, manches
so dezidiert wie aktuell. Zahlreiche israelische Autoren sind darunter,
aber mindestens ebensoviele ausländische Betrachter widmen sich der
Geschichte und der aktuellen Situation des Judenstaats. Richard Chaim
Schneider und Henryk M.Broder stehen in dieser Hinsicht zwei
Perspektiven zur Verfügung.
Beide Autoren sind in der Bundesrepublik aufgewachsen,
beide können über den israelischen Alltag aus eigener Erfahrung
berichten. Broder, Sohn polnischer Holocaust-Überlebender, hat
Deutschland 1981 medienwirksam "Dankeschön" gesagt und sich nach Israel
verabschiedet. Inzwischen lebt er in Berlin und Jerusalem zugleich und
ist gerngesehener, weil so provokanter wie unterhaltsamer Gast in
Talk-Shows.
Bei solchen Quoten kann Richard Chaim Schneider nicht
mithalten. Obwohl der Münchner, Jahrgang 1957, mindestens genauso hart
argumentieren kann wie sein zehn Jahre älterer Kollege. Was Schneider
abgeht und ihm deswegen weit weniger Aufmerksamkeit beschert, ist
Broders beißender Spott.
Ein Unterschied, der nun auch die Israel-Bücher der
beiden jüdischen Intellektuellen prägt. Während Broders "Die Irren von
Zion" keine Pointe ausläßt und streckenweise mit satirischen Bemerkungen
zum ganz normalen israelischen Wahnsinn amüsiert, geht Schneider weitaus
sachlicher und systematischer vor. Für "Israel am Wendepunkt" hat er
Politiker zwischen Haifa, Tel Aviv und Jerusalem interviewt. Anders als
bei Broder blieb dabei die arabische Seite weitgehend ausgespart. Denn
das Scheitern der Verhandlungen mit den Palästinensern sieht Schneider
großteils in den Gräben innerhalb der israelischen Gesellschaft
begründet. Für ihn befindet sich die einzige parlamentarische Demokratie
des Nahen Ostens auf dem Weg zum religiösen Fundamentalismus; eine
Befürchtung, die Schneider mit Broder teilt.
Beide Autoren gehen ausführlich auf die Gründe dafür
ein: Auf die Gegensätze zwischen den aschkenasischen und den
orientalischen Juden, die Probleme mit der Integration russischer
Einwanderer, auf das starre Festhalten der alten Nomenklatura an ihren
Privilegien. Auf die religiöse Siedlerbewegung, die sich zu einem nicht
unbeträchtlichen Teil aus jenen Juden rekrutiert, die in Amerika oder
England assimiliert aufwuchsen und nun mit der Verteidigung biblischer
Erde ihre Identitätskrise bewältigen.
Die Frage "Wer ist Jude?" spielt, darin stimmen Broder
und Schneider überein, auch bei den "Sabres", den im Lande Geborenen,
eine große Rolle. Bei vielen weltlichen Israelis, die den Bezug zum
Judentum nur noch in ihrer Staatsangehörigkeit sehen, hat sich so etwas
wie ein schlechtes Gewissen wegen der Entfernung zur Tradition
eingeschlichen. Deshalb lassen sie die Chassidim gewähren: jene
Ultraorthodoxen, die den Staat Israel ablehnen, weil er von Menschen und
nicht vom Lieben Gott ausgerufen wurde. Was sie nicht hindert, in der
Politik kräftig mitzumischen.
Es klingt zunächst wie ein schlechter Scherz, was die
beiden Autoren von einigen ihrer Gesprächspartner zu hören bekamen, aber
es könnte sich zu einer fixen politischen Idee entwickeln: der
Vorschlag, das Heilige Land nochmals zu teilen, in einen religiösen und
einen säkularen Staat. Genauso aberwitzig erscheint zunächst die Idee,
die Broder auch von palästinensischer Seite erfuhr, daß niemand außer
den Fundamentalisten beider Seiten zum wahren Dialog fähig sei. Denn nur
wer wirklich fromm ist, wird hier akzeptiert.
Daß die Bereitschaft zu Kompromissen, zu
Friedensvorstößen, zu Visionen im momentanen Wirrwarr auf ein Minimum
gesunken ist, dessen sind sich Schneider und Broder bewußt. Der eine
registriert diese traurige Tatsache mit ehrlicher Betroffenheit, der
andere mit fatalistischem Humor.
Jungle World - 29.
April 1998
Buchbeschreibung
Richard Chaim Schneider:
"Israel am
Wendepunkt"
Richard Chaim Schneider:
"Israel am Wendepunkt"
Von der Demokratie zum Fundamentalismus?
Vorwort von Lea Rabin
Kindler Verl., München, p223
Israel befindet sich in einer gewaltigen Zerreißprobe. Das
ungelöste Palästinenserproblem hat das Land gespalten; die Konflikte
zwischen der politischen Linken und Rechten, zwischen Liberalen und
Orthodoxen, zwischen Sephardim und Aschkenasim sowie zwischen Zionisten und
Antizionisten sind kaum noch zu lösen.
Fundamentalistische Strömungen drohen die Oberhand zu gewinnen. Die einzige
Demokratie des Nahen Ostens scheint in einem bedrohlichen Auflösungsprozeß
begriffen.
Eine Bestandsaufnahme, die Menschen, Meinungen und das Land in ihrer
aktuellen Problematik vorstellt.
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