Leseprobe aus "ISHA":
Frau und Judentum -
Sexismus und Sprache
Die Sprache ist Träger und Ausdruck
unserer Werte, unserer Denkungsart und unserer Idealvorstellungen. Sie
umschreibt unsere Lebenswirklichkeit, doch dient sie auch zu deren
Veränderung. Der größte Teil der jüdischen Tradition wurde bis in die
jüngste Vergangenheit von Männern ersonnen, weiterentwickelt und
beschrieben. Folglich war die Norm eine männliche, man sah einzig die
Männer als Teil der Gemeinschaft an, Frauen betrachtete man als
außerhalb dieser normativen Tradition stehend. Die Frau ist "die
Andere", die jüdische Literatur ist in ihrer Gesamtheit Ausdruck eines
männlichen Blickwinkels.
Frauen und Männer werden häufig
verglichen und einander gegenübergestellt; diese Verallgemeinerungen
sind erkennbar Quelle sexistischer Auffassungen. Daher ist es umso
wichtiger, in Inhalt und Ausdruck darauf zu achten, den Frauen ihren
legitimen Platz zukommen zu lassen. Der Gebrauch einer inklusiven
Sprache im Gebet – das doch Ausdruck der ganzen Gemeinde sein soll –
ebenso wie in Predigten und bei der Textauslegung ist in diesem Bemühen
grundlegende Voraussetzung. Der Gebrauch des Plurals "die Menschen"
anstelle der Formulierung "der Mensch" [was im Französischen und
Englischen noch deutlicher erkennbar als im Deutschen gedanklich oft mit
"der Mann" gleichgesetzt wird] erlaubt es zum Beispiel Frauen innerhalb
einer Tradition, die sie lange ausschloss eher sich gleichwertig
anerkannt zu fühlen. (1)
Auch die von der Tradition vermittelte
Bildersprache ist für das kollektive Unterbewusste bedeutsam: So wird in
einem zu jedem Freitagabendgottesdienst gesungenen Lied die Gemeinde mit
einem Bräutigam [dodi] verglichen, der den Schabbat als Braut [kala]
empfängt; dies Bild impliziert, dass die Gemeinde nur aus Männern
besteht. Es geht nicht darum, alle diese Bilder zu unterdrücken um eine
fade Neutralität zu erreichen, sondern darum, ihnen andere Bilder an die
Seite zu stellen, zum Beispiel die Gemeinde auch einmal mit einer Braut
zu vergleichen (2). Die Liturgie hat es immer
verstanden, sich den Fragen und Bedürfnissen der jeweiligen Epoche
anzupassen, sie bietet einen geeigneten Rahmen für entsprechende
Anpassungen. Dann bleibt das Weibliche nicht weiterhin unbeachtet oder
in generische Begriffe "mit eingeschlossen", sondern kann seine Stellung
als normative Alternative einnehmen.
Es ist wichtig, die Frauen zu
rehabilitieren und sie in den Gebeten zu erwähnen. In der Bibel werden
Frauen immer als Ehefrauen oder Töchter bedeutender Männer und niemals
als eigenständige Persönlichkeiten dargestellt. Doch unter all den uns
heute zur Verfügung stehenden Helden und Vorbildern müssen auch Frauen
als gleichwertige Rollengeber vertreten sein. Vor diesem
Gedankenhintergrund werden im liberalen und konservativen Judentum beim
Amida-Gebet neben den Stammvätern auch die Mütter genannt. Diese Frauen
spielten eine wichtige Rolle beim Erhalt und der Weitergabe der
monotheistischen Idee. Ihre ganz eigene Beziehung zum Göttlichen kann
heute Männern und Frauen als Leitbild dienen, selbst wenn die biblischen
Erzähler vieles im Dunklen lassen. Die Begegnung mit den Frauen der
jüdischen Geschichte kann trotz des in manchen Fällen dürftigen uns zur
Verfügung stehenden Materials dazu beitragen, diesen die gebührende
Aufmerksamkeit zukommen zu lassen und den Frauen von heute eine
Identifikationsmöglichkeit mit nicht ausschließlich männlichen
Rollenbildern zu bieten.
Nicht zuletzt sind auch die für Gott
gebrauchten Metaphern von Bedeutung. Nach der jüdischen Tradition ist
Gott weder männlich noch weiblich, Anthropomorphismen werden nach
Möglichkeit vermieden. Wenn wir von Gott reden wollen, bleibt uns
dennoch nichts anderes übrig als auf Metaphern aus unserem menschlichen
Erfahrungsbereich zurückzugreifen. So wird Gott in der Bibel als Krieger
(Ex. 15:3), als Hirte (Ps. 23:1), als König (I. Sam. 12:12), und als
Vater (Jer. 3:19) beschrieben. Die Rabbinen sprechen vom "Vater des
Erbarmens", "Vater im Himmel", "König der Könige", "der Heilige, Gelobt
sei Er" usf. Nach einer Darstellung legt Gott sogar Tefillin, ein
traditionell nur von Männern zu beachtendes Gebot. Am häufigsten wird
Gott mit den Macht- und Herrrschaftsbezeichnungen einer hierarchischen
patriarchalischen Gesellschaft belegt. Arthur Green erklärt diesen
Widerspruch ironisch: §"Obwohl der Gott Israels überwiegend mit
männlichen Namen und Verben beschrieben wird, ist er in Wahrheit eine
relativ geschlechtslose Gottheit..."(3) Gleichwohl
gibt es auch einige weibliche Bilder von Gott, wie Jesajas Beschreibung
von Gott als Mutter (Jes. 42:14) (4).
Sicher gibt es auch das auf die
jüdische Mystik zurückgehende geheimnisvolle Bild der Schechina, doch es
spiegelt die weiblichen Archetypen einer patriarchalischen Gesellschaft.
In den meisten Fällen wird Gott in einer männlichen Terminologie
umschrieben und da diese Metaphern zur Darstellung eines Ideals dienen,
wirken sie gleichzeitig ausgrenzend. Judith Plaskow (5)
zeigt auf, in wie weit der Widerstand gegen jegliche Veränderung in
diesem Bereich Beweis für das Festhalten an einem geschlechtlich
verstandenen Gottesbegriff ist, der doch recht eigentlich dem
heidnischen Gedankengut zuzuordnen ist. Man kann auch auf neutralere
Ausdrücke wie "der Ewige" zurückgreifen (6), denen
zur Bezeichnung eines zumindest theoretisch das Geschlechtliche
transzendierenden Gottes gegenüber Begriffen mit ausgeprägt männlicher
oder weiblicher Konnotation der Vorzug zu geben ist. Im Vorderen Orient
der Antike existierten männliche und weibliche Gottheiten Seite an
Seite.
Es scheint als ginge mit dem Aufkommen
des Monotheismus, der Abschaffung der Götzen und der Vielgötterei,
gleichzeitig mit dem Entstehen einer auf der Herrschaft der Männer über
die Frauen beruhenden Gesellschaft und dem Ausschluss der Frauen vom
religiösen Leben und dem Priestertum eine Unterdrückung der weiblichen
Aspekte des Göttlichen einher. Die Wahl eines Gottes mit männlichen
Eigenschaften konnte die Marginalisierung und Unterdrückung der Frauen
gerechtfertigen und helfen, die entsprechende Gesellschaftsstruktur zu
stabilisieren. Vielleicht war dies ja eine notwendige Übergangsphase in
der Entwicklung des Monotheismus. Für die Gegenwart bleibt uns die
Aufgabe, die beiden männlichen und weiblichen Aspekte eines
grundsätzlich körperlosen Gottes zu vereinen und männliche und weibliche
Eigenschaften in einer veränderten, nicht mehr patriarchalischen sondern
egalitären, Welt neu zu definieren.
Anmerkungen:
(1) Übs.: Zur Diskussion der sexistischen Sprache in
der jüdischen Tradition von einer deutschen Muttersprachlerin siehe
auch: Pnina Navè Levinson: Eva und ihre Schwestern, Gütersloh 1992, S.
118ff.
(2) In den rabbinischen Texten wird Israel häufig als
Gott versprochene Braut beschrieben.
(3) Arthur Green, "Keeping Feminist Creativity
Jewish", Sh'ma 16/305,10.
(4) Siehe "Depatriarchalizing in Biblical
Interpretation", S. 217-240 in The Jewish Woman (coll.).
(5) "God: reimagining the unimaginible", in Standing
again at Sinai, S. 125.
(6) Übs.:Im Gegensatz zum französischen "l’Èternel",
das zumindest für Hörer nicht eindeutig geschlechtsbestimmt ist oder gar
zum Englischen "the Eternal" ist der deutsche Begriff grammatikalisch
eindeutig maskulin, doch wenigstens entstammen die mit ihm verbundenen
Assoziationen nicht dem patriarchalisch-hierarchischen Denken. Überhaupt
tut sich das Deutsche, das auch beim Artikel nach männlich oder weiblich
unterscheidet mit der Wahl eines "neutralen" Gottesbegriffes schwerer
als z. B. das Englische. Vorschläge wie "GeistIn" bieten keine
ernsthafte Alternative, immerhin wird durch sie die sprachliche Crux
deutlich. (siehe auch Navé-Levinson, a.a.O.).
hagalil.com 17-03-03
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