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Jüdische Weisheit
 
 

Leseprobe aus "ISHA":
Frau und Judentum -
Abtreibung

Die Frage der Abtreibung wird heute in der Halacha intensiv diskutiert; mehrere Theorien stehen sich gegenüber. Es gibt einen allgemeinen Konsens, die Abtreibung zu erlauben, wenn das Leben der Mutter in Gefahr ist. Bei der Schwangerschaftsunterbrechung wegen einer außerehelichen oder einer unerwünschten Schwangerschaft oder wegen einer zu erwartenden schweren Behinderung des Kindes gehen die Meinungen auseinander.

In der Bibel wird nur die durch einen Unfall verursachte Fehlgeburt, nicht die geplante Abtreibung behandelt. "Und wenn Männer mit einander zanken und stoßen eine schwangere Frau, dass ihr die Kinder abgehen, aber es ist keine Lebensgefahr: so werde er am Gelde gebüßt, so viel ihm der Gatte der Frau auflegt und er zahle durch die Richter. Wenn aber Lebensgefahr ist, so gib Leben um Leben, Auge um Auge, Zahn um Zahn, Hand um Hand, Fuß um Fuß, Brandmal um Brandmal, Wunde um Wunde, Strieme um Strieme." (Ex. 21:22-25). Hier handelt es sich um das vielzitierte "Jus Talionis".

Nach der Interpretation der Rabbinen beinhaltet es, dass der entstandene Schaden durch eine Geldsumme abgegolten werden musste. Ruft eine Auseinandersetzung eine Fehlgeburt hervor, liegt die Festsetzung der Schadensersatzsumme beim Ehemann, da der Fötus als sein Eigentum angesehen wird. In biblischer Zeit waren die Einkünfte der Frau ebenso wie alle ihre Leistungen Eigentum des Mannes, der sie besitzt. Stirbt die Frau, handelt es sich also um ein Verbrechen, auf das die Todesstrafe steht. Die Bibel macht folglich eine klare Unterscheidung zwischen dem Leben der Frau und dem des Fötus. Die Abtötung des Fötus zieht nicht die Todesstrafe nach sich, sie wird als Schaden am Eigentum betrachtet. Auch wenn der biblische Text von einem nicht geplanten Abort handelt, dient er doch der Diskussion über die geplante Schwangerschaftsunterbrechung als Grundlage.

Nach talmudischem Recht gilt der Fötus nicht als eigenständiges Leben sondern als Teil der Mutter: " Der Fötus ist die Lende der Mutter" (Chul. 58a; Git. 23b) Bis zum Zeitpunkt der Geburt darf er abgetötet werden um das Leben der Mutter zu retten: "Wenn die Frau Schwierigkeiten bei der Niederkunft hat, zerschneide man den Fötus in ihrem Inneren und ziehe ihn Teil für Teil heraus denn ihr Leben gilt mehr als seines. Wenn der größere Teil geboren ist, berühre man ihn nicht, denn ein Leben darf nicht um des anderen Willen beseitigt werden." (Oh. 7:6) Eine Variante dieses Textes findet sich in einem anderen Talmudtraktat: "Wenn der Kopf geboren ist" (Sanh. 72b). Das Prinzip der Gleichwertigkeit zweier Leben wird folgendermaßen ausgedrückt: " Tu weißt nicht, ob dein Blut roter ist als seins" (Sanh. 45b). Doch dies Prinzip findet erst Anwendung wenn der größte Teil des Kindes oder der Kopf geboren ist. Davor hat das Leben der Mutter Vorrang. Raschi sagt in einem Kommentar, dass der Fötus vor der Geburt kein Nefesch , keine lebendige Seele ist (Raschi über Sanh.72b).

Im Talmud (Ar. 7a-b) wird ein weiterer Fall einer Abtreibung diskutiert, nämlich der einer schwangeren Frau, die zu Tode verurteilt wird ( es handelt sich hier um eine rein theoretische Situation, da die Todesstrafe vom Talmud ausgesetzt wurde.). Wenn eine schwangere Frau zu Tode verurteilt wird, erklärt uns die Mischna, wartet man nicht ihre Niederkunft ab, es sei denn die Wehen haben bereits begonnen. Im ersten Fall wird der Fötus als Teil des Körpers der Mutter betrachtet, im zweiten Fall als ein eigenständiges Wesen. Man hält dafür, den Fötus zuerst abzutöten, um zu vermeiden, dass die Frau zusätzlich die Entwürdigung einer Niederkunft während der Hinrichtung erleidet. Die Tossafisten führen aus, dass es für die Frau, die weiß, dass sie zum Tode verurteilt ist, grausam sei auf die Geburt ihres Kindes warten zu müssen, da das Gesetz vorsieht, dass es zwischen Verurteilung und Vollstreckung der Strafe keine Verzögerung geben darf. Dies wäre eine Form der Folter, genannt innui hadin. Wenn das Urteil über die schwangere Frau noch nicht gesprochen ist, wird die Entscheidung auf die Zeit nach der Geburt verschoben, weil sie dann auf Freispruch oder eine weniger schwere Strafe hoffen kann. Diese Diskussion hat insofern Bezug zum Thema der Abtreibung, als sie den Begriff der innui hadin, das heißt der durch eine Schwangerschaft hervorgerufene Ängste, mit ins Spiel bringt. Jacob Emden (1697-1776) stützt sich auf diese Passage, um die Abtreibung eines unehelichen Kindes zuzulassen. Er fährt folgendermaßen fort:

Und selbst bei einem legitimen Fötus gibt es Gründe, Nachsicht zu üben solange das Kind sich noch nicht bewegt: wenn es sich um eine zwingende Notlage handelt, selbst wenn es sich hierbei nicht um eine lebensbedrohliche Situation für die Mutter handelt, sondern darum, sie von dem Fötus zu befreien, weil er Ängste bei ihr auslöst. Und dieses Thema muss noch viel eingehender diskutiert werden. Gleichwohl ist es offensichtlich dass es dennoch grundsätzlich verboten ist, den Fötus zu töten [...]. Zweifellos ist es nicht verboten, da es auf grund einer zwingenden Notlage getan wird [...]Deshalb ist unsere Entscheidung die Folgende: Es ist verboten den Fötus grundlos abzutreiben. Doch in dem gegenwärtigen Fall einer verheirateten Frau, die vom rechten Wege abgewichen ist, bin ich nachsichtig und meine, dass es erlaubt ist, und dass diese Handlung vielleicht als Mitzva belohnt wird [...]. (Responsa Scheelat Javetz, n°43)

Die "zwingende Notlage" die eine Abtreibung auch eines ehelichen Kindes rechtfertigen würde, wird von Jacob Emden nicht näher definiert. So sind abhängig von den jeweiligen Umständen nach der Meinung einiger Rabbiner Abtreibungen erlaubt, nach der Meinung anderer nicht.

Im Talmud findet man auch Stimmen, die sich gegen die Abtreibung aussprechen, so die von Rabbi Jischmael: "Wer vergießt das Blut eines Menschlichen Wesens, durch das [in dem] Menschliche[n] Wesen soll dessen Blut vergossen werden." [Gen.9:6]. "Was ist das ‚Menschliche Wesen in dem Menschlichen Wesen’ ? Es handelt sich um den Fötus" (Sanh.57b). Raschi sagt dazu, es handle sich um Gesetze für Nichtjuden, für die Abtreibung ein Kapitalverbrechen sei, was für Juden nicht gälte. Die Tossafisten kommentieren, dass die Abtreibung zwar auch für Juden verboten, aber nicht strafbar sei. Wie wir gesehen haben, werden im Talmud unterschiedliche Auffassungen vertreten; Einige sehen in dem Fötus kein eigenständiges Leben und halten die Abtreibung im Falle einer Gefährdung der Mutter oder einer zwingenden Notsituation für zulässig, andere fassen die Abtreibung als Mord auf.

Moses Maimonides (MT, Hil. Rotzeach uschemirath nefesch 1:9) beleuchtet das Thema von einer ganz anderen Seite. Er ist der Meinung, dass der Fötus als Verfolger [rodef] betrachtet werden muss; als jemand, der versucht, die Frau die Probleme bei Schwangerschaft und Geburt hat, umzubringen. Nach dem Gesetz darf aber jeder, der eine andere Person in Tötungsabsicht verfolgt, selbst getötet werden. So rechtfertigt Maimonides eine Abtreibung nur im Falle einer Gefahr für die Mutter. Anders als im Talmud unterscheidet er dabei nicht zwischen dem Fötus vor der Geburt, der keine lebendige Seele hat und dem Kind nach der Geburt das als eigenständiges Wesen zählt. Im Lauf der weiteren Entwicklung der Halacha folgen manche Rabbiner der Lehrmeinung von Talmud und Raschi und behandeln die Abtreibung mit größerer Nachsicht als andere, die der Meinung von Maimonides folgen und härter urteilen. Hayim Soloveitchik (Hiddoushei Rabbi Hayim Soloveitchik über MT, Hil. Rotzeach 1:9) betrachtet den Fötus als nefesch, eine lebende Seele, die nur dann getötet werden darf, wenn sie eine tödliche Gefahr für die Mutter darstellt. Der Oberrabbiner von Israel Issar Unterman vergleicht die Abtreibung mit Mord, wenn keine Gefährdung der Mutter vorliegt. Jedoch geht er so weit, einzuräumen, dass seelischer Druck, der die Mutter in den Suizid treiben könnte, einen legitimen Grund für eine Abtreibung darstellen könnte. Der Oberrabbiner Ben Zion Usiel (Mischpetei Usiel, ChM 3:46) plädiert für die Abtreibung im Falle eines drohenden Gehörverlustes der Frau. Dabei stützt er sich auf die Talmudstelle an der von Entwürdigung die Rede ist: "Auf jeden Fall ist es ganz eindeutig, dass sie das Abtöten des Fötus ausschließlich in einer Notlage zuließen, doch auch dann, wenn die Notlage nicht schwerwiegend ist, wie zum Beispiel eine mögliche Entwürdigung der Mutter. Doch ohne Notlage ist es sicher verboten, denn es handelt sich hier um Vernichtung und die Verhinderung einer Lebenschance für eine nefesch in Israel." Usiel läßt also die Abtreibung selbst aus weniger schwerwiegenden Gründen zu; doch untersagt sie, wenn keine guten Gründe vorliegen.

Das Problem liegt darin, bei wem die Autorität liegt, eine Definition für die "Entwürdigung der Mutter" festzulegen. Der israelische Historiker Menachem Elon vertritt die Meinung, dass die Mehrzahl der Gesetzgeber in der jüdischen Tradition die Abtreibung nicht mit Mord gleichsetzen, sondern als eine Übertretung von rabbinischem Gesetz und nicht einem Gesetz der Thora betrachten. 1977 verabschiedete die Knesset ein Gesetz, nach dem die Abtreibung zulässig ist bei größeren Gefahren für die Mutter, im Falle von Schwangerschaft bei Ehebruch, von Schwangerschaft bei Minderjährigen, Vergewaltigung, dem Risiko schwerer Behinderung oder angeborener Krankheiten, sowie sozioökonomischen Bedingungen, die ein gesundes Aufwachsen des Kindes erschweren. Diese letzte Klausel löste in orthodoxen Kreisen hitzige Diskussionen aus.

In den Auseinandersetzungen der traditionellen jüdischen Kreise kommt die Sorge der Frau, über ihren Körper nicht selbst bestimmen zu können nicht zur Sprache. Doch es muss angemerkt werden, dass das Wohlergehen der Mutter bei den Entscheidungen mit bedacht wird. Die Begriffe "Entwürdigung" und "zwingende Notlage" geben Raum für milde Entscheidungen, die eine Abtreibung in vielen Situationen gestatten. Selbstverständlich sollte die Abtreibung nicht zu leicht genommen werden und nicht als eine Form der Verhütung genutzt werden, aber jede Form von Angst und Not im Zusammenhang mit der Geburt des Kindes kann berücksichtigt werden. Auch das gegenwärtige Wissen über die Entwicklung des Fötus sollte mit in Betracht gezogen werden; das heißt, das die Abtreibung, wenn nötig, so früh wie möglich vorgenommen werden sollte. Die meisten Autoritäten lassen eine Abtreibung in den ersten vierzig Tagen des fötalen Lebens viel eher zu (Jev. 69b; Nid 30b; Mker. 1:1; SA,ChM 210:2). Zwischen dem Alter von vierzig Tagen und siebenundzwanzig Wochen hat der Fötus schon einen Status, doch seine Zukunft ist noch ungewiss; für diese Phase gehen die Meinungen der Autoritäten über eine mögliche Abtreibung auseinander. Die liberalsten Autoritäten lassen die Abtreibung bis zum Geburtstermin zu, wenn die Gesundheit von Mutter oder Kind ernsthaft bedroht sind.


Pauline Bebe:
ISHA —
Frau und Judentum ·
Enzyklopädie

Umfang ca. 480 Seiten,
Gebunden mit
Schutzumschlag,
Euro 34,00

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