Das
Antwortschreiben:
Sehr geehrte Damen und Herren,
ein Mann möchte so bald wie möglich den Gijur (den Übertritt
zum Judentum) vollziehen. Er sei mit einer Katholikin verheiratet, habe sich
jedoch von ihr getrennt.
Die Fragen:
- Ist die Scheidung eine Voraussetzung für den Gijur?
- Kommt eine Trennung nach der Halacha (dem jüdischen
Religionsrecht) einer Scheidung gleich?
Antwort:
- Zu diesen Fragen gibt es zwei grundsätzliche Antworten:
1) Die Halacha ist von Natur aus eine Art kanonisches Recht.
Sie befasst sich ausschließlich mit Fragen innerhalb des Judentums und
solchen, die das Verhältnis zwischen Juden und Nicht-Juden betreffen. Ob die
Trennung zwischen einem christlichen Paar als Scheidung gilt ist nicht eine
Sache der Halacha.
2) Die Frage nach den Voraussetzungen für einen Gijur kann
nicht im Internet oder auf dem Postweg, sondern lediglich von dem
zuständigen Rabbiner in einem persönlichen Gespräch beantwortet werden.
- Da der Fragesteller regelmäßig eine Synagoge besucht, ist
es ratsam, dass er den dortigen Rabbiner wegen seines Wunsches anspricht.
Vermutlich wird der Rabbiner ihm u.a. raten, sich scheiden zu lassen.
- Wie der Rabbiner insgesamt zum Gijurwunsch stehen wird, ist
schwer vorauszusagen. Man muss bedenken,
1. dass es drei Hauptströmungen unter den religiösen Juden
gibt: die Orthodoxen, die Konservativen und die Liberalen,
2. dass selbst in den einzelnen Strömungen keine
einheitlichen Regeln herrschen, was deutlich wird, wenn man den in jüngster
Zeit innerhalb der Orthodoxie Israels zur Frage des Gijurs entflammten
Streit verfolgt.
Auch wenn dieser Streit nur indirekt mit dem vom Fragesteller
behandelten Thema zusammenhängt, soll darauf des allgemeinen Interesses und
seiner weitreichenden Folgen wegen in einer „Fußnote“ kurz eingegangen
werden.
Anmerkung:
Eheschließungen und Scheidungen von Juden in Israel befinden
sich laut Gesetz ausschließlich in der Jurisdiktion von Rabbinern. In der
Hafenstadt Aschdod im südlichen Teil Israels war Mitte 2007 bei einem
Rabbinatsgericht eine Scheidungsklage anhängig. Während der Verhandlung
stellte sich heraus, dass die Frau vor fünfzehn Jahren zum Judentum
übergetreten war. Der Gijur war vom Rabbinatsgericht unter der Leitung des
Rabb. Chaim Druckmann vollzogen worden. Rabb. Druckmann wie auch die anderen
Mitglieder dieses Gijur-Gerichts gehören der orthodoxen Richtung an und sind
in dieser Funktion vom Staat Israel anerkannt. Das Rabbinatsgericht in
Aschdod (ebenfalls aus orthodoxen Rabbinern zusammengesetzt) unter dem
Vorsitz des Rabb. Avraham Attaya hat der Frau den Gijur aberkannt und
erklärt, sie wie auch ihre drei Kinder, die nach dem Gijur geboren wurden,
seien keine Juden. In der Begründung des Rabb. Attaya, die laut Zitat von
Zeitungsberichten mit unflätigen Beschimpfungen gegen Rabb. Druckmann
gespickt ist, wird ferner festgestellt, dass alle vom Gericht des Rabb.
Druckmann durchgeführten Übertritte Null und Nichtig seien.
Auf die verschiedenen sowohl halachischen als auch
gesellschaftlichen Aspekte dieses, man könnte sagen Skandals, kann hier
nicht näher eingegangen werden. Es sei nur erwähnt, dass letzten Endes auch
das Oberste Gericht Israels (ein säkulares Gericht) sich damit befassen
musste.
Mit freundlichen Grüßen
Bar Rav Nathan |