Sehr
geehrte Damen und Herren,
mehrfach wurde ich von Nichtjuden, die eine Verbundenheit mit dem Judentum
verspüren, angesprochen. Manche von ihnen stellen sogar Überlegungen an, die
Religion zu wechseln. Der Schritt der Konversion zum mosaischen Glauben ist
allerdings meistens sehr beschwerlich und kann nicht immer (aus
unterschiedlichen subjektiven oder objektiven) Gründen vollzogen werden.
- Warum ist es so schwer, jüdisch zu
werden?
- Was sollten diese Menschen bedenken und was kann man ihnen empfehlen?
Antwort zu Punkt 1:
- Der Übertritt zum Judentum wird den
Bewerbern oft sehr schwer gemacht. Sie müssen viel lernen, verschiedene
Prüfungen bestehen und lange Wartefristen ertragen. Mancher Nichtjude mag
sich darüber wundern, denn die Aufnahme in andere Religionen ist relativ
einfach, manchmal wird sie sogar zu leicht gemacht, wenn man an die
Missionstätigkeit denkt. Bei den Juden ist die Mission aber unbekannt.
- Es ist nicht ganz ausgemacht, warum die Rabbiner in unserer Zeit es den
Übertretungswilligen so schwer machen. Offiziell und formal findet man
allerdings hinreichend Belege in den heiligen Schriften, die die ablehnende
Haltung der Rabbiner rechtfertigen, ja sogar vorschreiben. Man könnte jedoch
auch Belege für die gegenteilige Haltung anführen, wie man generell in der
Bibel und im Talmud Belege für kontroverse Haltungen finden kann.
- Es ist also womöglich auch oder insbesondere eine (wenn vielleicht auch
nicht bewusste) politische Entscheidung (in Israel könnte es mit dem
Staatsbürgerrecht zusammenhängen, das jedem Juden zusteht). Mir fällt
hierbei eine entgegengesetzte Haltung, eine andere politische Entscheidung
ein, die ein judäischer König vor zweitausend Jahren gefällt hat.
- Alexander Janäus, König von Judäa und Hohepriester in den Jahren 103 – 76
v.d.Z. war ein mächtiger und selbstbewusster Herrscher. Er hatte Ärger mit
den kleineren Völkern, die an sein Land angrenzten. Diese fielen oft in das
Land ein, besetzten, beraubten und zerstörten die Grenzortschaften. Um der
Sache Herr zu werden, beschloss er, die heidnische Bevölkerung um Judäa
herum zu Juden zu machen und das Problem auf diese Weise politisch zu lösen.
Er führte viele Kriege, besetzte die Grenzgebiete und zwang deren Bewohner
zum Übertritt zum Judentum. Sein Vorgehen hatte zusätzliche positive
Wirkungen: Das Land Judäa vergrößerte sich um einiges, und durch die
Assimilierung der Fremden nahm die Bevölkerung sehr zu. Dieser
Bevölkerungszuwachs garantierte (nach Meinung mancher Historiker) den
Fortbestand des jüdischen Volkes in den späteren Jahren. Die Kriege gegen
Rom und die großen Blutbäder, die die Römer unter der jüdischen Bevölkerung
anrichteten, hätten sonst zur Auslöschung des Volkes führen können.
Antwort zu Punkt 2:
- Anders als im Christentum, in dem die
Bekehrung der Menschen und der Völker eine der wichtigsten Grundpfeiler der
Religion ist (Matthäus 28: „Und Jesus trat zu ihnen, redete mit ihnen… Darum
gehet hin und lehret alle Völker und taufet sie…“), kennt die jüdische
Religion solche Bestrebungen nicht.
- Laut Hebräischer Bibel hat Gott Abraham auserwählt und mit ihm und seinen
Nachkommen einen Bund geschlossen. Im 3. Buch Moses (20, 26) heißt es:
„Darum sollt ihr mir heilig sein; denn ich, der HERR, bin heilig, der euch
abgesondert hat von den Völkern, dass ihr mein wäret“.
- Dem Fremden, der sich, einerlei aus welchen Gründen, in mitten des
jüdischen Volkes aufhält, der mit den Juden in ihrem Land lebt, gewährt die
Bibel einen besonderen Schutz: „Der Fremde, der sich bei euch aufhält, soll
euch wie ein Einheimischer gelten und du sollst ihn lieben wie dich selbst“
(3. M. 19, 34). Allerdings ist da keine Rede von einer Aufnahme in die
jüdische Religion. Es gibt auch weder biblische noch außerbiblische Quellen,
die von einem formalen Akt der Übertretung sprechen. Wahrscheinlich wurde
eine Aufnahme ins Judentum im Allgemeinen durch Heirat vollzogen. Die Bibel
erzählt z.B. von Moses und auch von den Königen von Judäa, die sich fremde
Frauen nahmen. Ihre Kinder waren selbstverständlich Juden.
- Es ist allerdings kein Wunder, dass die Bibel zum Glauben und den Göttern
der anderen Völker, besonders der Nachbarvölker der Israeliten, eine sehr
negative Einstellung hatte. Diese Völker waren Heiden, dienten Götzen und
drohten die Juden zu verderben. Eine Tendenz, die Heiden zum Glauben an den
Schöpfer der Welt, zum monotheistischen Gott zu bekehren, vertrat die Bibel
nicht.
- Der Wunsch jedoch, dass alle Völker den Gott der Juden anerkennen, war
doch vorhanden. Er kommt in der Prophezeiung des Jesaja in seiner wohl
bekanntesten Vision von der Endzeit zum Ausdruck:
„Es wird zur letzten Zeit der Berg, da des HERRN Haus ist, fest stehen,
höher denn alle Berge, und über alle Hügel erhaben werden, und werden alle
Heiden dazu laufen und viele Völker hingehen und sagen: Kommt, lasst uns auf
den Berg des HERRN gehen, zum Hause des Gottes Jakobs, dass er uns lehre
seine Wege und wir wandeln auf seinen Pfaden! Denn von Zion wird das Gesetz
ausgehen, und des HERRN Wort von Jerusalem. Und er wird richten unter den
Heiden und strafen viele Völker. Da werden sie ihre Schwerter zu
Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen. Denn es wird kein Volk gegen
das andere ein Schwert aufheben, und werden hinfort nicht mehr Krieg führen.
Kommt nun, ihr vom Hause Jakob, lasst uns wandeln im Lichte des HERRN!“
- Im Buch des Propheten Micha, Zeitgenosse von Jesaja (8. Jh. v.d.Z.), steht
wörtlich die gleiche Prophezeiung, jedoch mit einem zusätzlichen Satz: „Denn
alle Völker gehen ihren Weg, jedes ruft den Namen seines Gottes an; wir aber
gehen unseren Weg im Namen des HERREN, unseres Gottes, für immer und ewig“
(Micha 4, 5). Dieser Satz ist bemerkenswert, denn hier kommt eine besondere
Haltung zum Ausdruck: Die Akzeptanz von anderen Religionen, sofern sie die
ethischen und gesetzlichen Normen des monotheistischen Gottes anerkennen.
- Der jüdische Gottesdienst wird jeweils mit einem Absatz abgeschlossen, der
diese Theologie genau beschreibt:
„Deshalb legen wir in Dich unsere Hoffnung, Ewiger, unser Gott, dass wir
Dich bald in der Herrlichkeit Deiner Stärke sehen, um Götzen von der Erde
zu beseitigen, Abgötter gänzlich auszurotten, die Welt zu vervollkommnen als
Reich des Allmächtigen; dann wird die ganze Menschheit Deinen Namen
ausrufen, alle Bösen der Erde werden sich Dir zuwenden; alle Bewohner der
Welt werden erkennen und wissen, dass sich vor Dir jedes Knie beugen muss,
und dass Dir jede Zunge schwören muss.
Vor Dir, Ewiger, unser Gott, werden
sie knien und sich niederwerfen und der Ehre Deines Namens Respekt zollen,
und alle werden das Joch Deiner Herrschaft auf sich nehmen, auf dass Du bald
für immer und ewig über sie regieren mögest. Denn Dein ist die Herrschaft,
immer und ewig wirst Du in Ehren regieren, wie es in Deiner Tora geschrieben
steht: Der Ewige wird in alle Ewigkeit regieren. Und es heißt: Der Ewige
wird König über die ganze Erde sein, an jenem Tag wird Er Eins sein und Sein
Name der Einzige.“
Schlussbemerkung:
Wer sich dem jüdischen Volk verbunden fühlt
und der jüdische Religion Respekt und Anerkennung zollt, kann der
Verbundenheit Rechnung tragen, indem er sich der in diesem Gebet geäußerten
Hoffnung anschließt. Mit freundlichen Grüßen
Bar Rav Nathan |