Vorbemerkung:
Geht man am späten Nachmittag in den von religiösen Menschen
bewohnen Städten Israels spazieren, wird man als Mann immer wieder mit der
Bitte angesprochen, manchmal sogar etwas bedrängt, in eine Gebetstube
einzukehren, damit die dort nicht vollzählig wartenden Menschen endlich mit
dem Beten beginnen können. Haben die Wartenden Glück, bekommen sie die
nötige Verstärkung und sie können bei zehn Anwesenden mit dem Gebet
beginnen.
Sehr geehrte Damen und Herren,
die Fragen lauten:
- Was ist ein Minjan und
- warum sollen zehn Personen in der Synagoge anwesend sein?
Zur Klarstellung:
Das Gebet, die Zwiesprache mit Gott, das Anflehen oder die
Lobpreisung Gottes bedarf keiner Förmlichkeit. Der Mensch kann sich zu jeder
Zeit und an jedem Ort mit seinem Schöpfer in der einen oder anderen Art
verständigen.
Antwort:
- Als Jerusalem und der heilige Tempel zerstört wurden,
hörten die Juden nicht auf, an Gott zu glauben, denn ihr Gott war im
Gegensatz zu den Heidengöttern ein Universalgott – der Einzige und an Ort
und Zeit nicht gebunden. Der Gottesdienst wie ehedem, der Opferkult, war
aber ohne einen Tempel nicht möglich. So entstanden nach und nach die Gebete
und die Versammlungsorte, die Synagogen, für die Verrichtung des
Gottesdienstes, der von nun an in der Form des Gebets verlief.
- Die Gebetszeiten wurden ähnlich wie die Opfergaben im
heiligen Tempel dreimal am Tag, morgens, nachmittags und abends
eingerichtet.
- Außerdem wurde nach und nach eine Gebetsordnung geschaffen und die Texte
für das jeweilige Gebet wurden festgelegt.
- Manche Gebete sollten im Rahmen der Gemeinde in öffentlicher Form
abgehalten werden. Im Talmud heißt es:
„Man betet nicht das Schma („Höre Israel“) mit den dazugehörigen
vorangehenden und folgenden Segenssprüchen, tritt nicht als Vorbeter beim
Achtzehngebet, spricht nicht den Priestersegen mit erhobenen Händen, liest
nicht vor aus der Tora, liest nicht anschließend aus den Propheten,
veranstaltet keine Trauerfeier, spricht nicht den Trauersegen und nicht den
Hochzeitssegen, veranstaltet keinen gemeinschaftlichen Tischsegen mit
Nennung des Gottesnamens, wenn weniger als zehn Männer anwesend sind“ (Meg.
23, 2).
- Minjan bedeutet Zahl. Dieses Wort steht für zehn männliche Personen, die
jeweils mindestens dreizehn Jahre alt sind (Barmizwa hatten und zu den
Erwachsenen gerechnet werden). Zehn Personen bilden eine Beter-Gemeinde. Es
gibt keine biblische Stelle, die die Größe einer Gemeinde definiert. Die
Talmudgelehrten haben jedoch diese Zahl von dem 4. Buch Moses, Kap. 14 Vers
17, abgeleitet, wo die Rede von einer „Eda“ = Gemeinde ist und diese aus
zehn Männern bestand.
- Wo also zehn jüdische Männer versammelt sind, kann jede Art Gottesdienst
abgehalten werden.
Nachbemerkung:
In früheren Zeiten, zur Zeit des Talmuds, waren die
Ortschaften in Palästina klein, und es war nicht leicht zehn Männer zu
finden, die sich von ihrer Arbeit freimachen und zum Beten gehen konnten.
Ein Ort, in dem sich zehn Arbeitslose (Müßiggänger) fanden, die sich
freiwillig in der Synagoge einfanden, um den Gottesdienst zu absolvieren,
galt als eine Stadt. Deshalb hat ein Stadt im Talmud folgende Definition
erfahren: „Welche heißt eine größere Stadt? In der sich zehn Müßiggänger
befinden; wenn weniger, so ist es ein Dorf“ (Meg. 5, 1).
Zurück zu unserer Vorbemerkung: Im heutige Israel gibt es in den Städten
sehr viel mehr als nur zehn Müßiggänger. Der Grund für das Anflehen der
Passanten, den Minjan zum Beten zu vervollkommnen ist darin zu sehen, dass
sich viele kleine Gebetsgemeinden, manchmal in enger Nachbarschaft, gebildet
haben, die sich in Stuben versammeln (Stibl) und miteinander konkurrieren.
Warum das so ist, müsste in einem weiteren Beitrag erörtert werden.
Mit freundlichen Grüßen
Bar Rav Nathan
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