Uri Avnery über Jizhak Rabin
Bittere Medizin:
Wie kam Jizhak Rabin nach Oslo?
Aus einem Gespräch mit dem
Verleger und Journalisten Georg Stein im April 1995, ein halbes Jahr vor
Rabins Ermordung (am Abend des 04.November 1995 / 11.Heshvan 5756).
Ich habe mit Yitzhak
Rabin über viele Jahre hinweg eine Art Dialog über das Palästinaproblem
geführt. Das fing etwa 1969 an. Ich besuchte ihn damals in der israelischen
Botschaft in Washington; wir führten ein Gespräch, und das setzte sich dann
jahrelang fort. Hier und da traf ich ihn auf allen möglichen Parties und
besuchte ihn in seinem Büro.
Später, als ich die Kontakte mit der PLO aufgenommen
hatte, berichtete ich ihm auch darüber. Ich bin also ziemlich gut
informiert, wie sich seine Ideen entwickelt haben. Rabin war bei weitem der
schärfste Gegner irgendeiner Verständigung mit den Palästinensern, mehr als
irgendein anderer israelischer Politiker, vielleicht sogar noch mehr als
Begin.
Der zentrale Punkt bei Rabin war immer
seine Überzeugung, daß Israel total auf Amerika angewiesen ist; darum
spiegelte er auch immer irgendwie die amerikanische Politik wider. Ich
hatte 1969 nach dem ersten langen Gespräch mit ihm - damals galt er noch
als Taube, im Gegensatz zu Peres, der ein Falke war - nicht den
Eindruck, daß er darauf beharrte, das Westjordanland zu behalten. Im
Gegenteil, schon damals sagte er: »Es ist mir ganz egal, ob ich für den
Besuch von Gush Etzion - das sind die Siedlungen bei Hebron - ein Visum
brauche.« Er meinte damit aber ein jordanisches Visum. Es war für ihn
immer klar; daß das Westjordanland an Jordanien zurückgegeben werden
muß. |
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Er hat mir damals einen Satz gesagt, den ich mir
eingeprägt habe - so eine Art hebräisches Wortspiel. Damals sprach man sehr
oft von Sicherheitsgrenzen, besonders der damalige Außenminister Yigal
Allon. Rabin sagte: »Was ich suche, ist nicht eine Sicherheitsgrenze,
sondern eine offene Grenze.« Das ist ein besonders wichtiger Ausspruch, wenn
man daran denkt, was er heute predigt - die absolute Trennung. Nach diesem
Gespräch schrieb ich ihm in einem Brief: »Wenn Du eine offene Grenze willst,
brauchst Du einen Palästinastaat, denn zwischen Palästina und Israel wird
die Grenze zwangsläufig offen sein, was nicht für eine Grenze zwischen
Israel und Jordanien zutrifft. Ein Palästinastaat kann nämlich gar nicht
leben ohne eine offene Grenze mit Israel.« Heute hat das übrigens eine ganz
andere Bedeutung.
Damit fing es an. Ich habe mit ihm dann gelegentlich
darüber gesprochen. Anfang 1974 begann ich, mit der PLO Kontakt aufzunehmen.
Nach den ersten Gesprächen mit Said Hamami beschloß ich, Rabin davon zu
unterrichten, weil das für beide Seiten der Sinn der ganzen Kontakte war.
Nach dem ersten Gespräch mit Hamami in einem Hotelzimmer in London fragte
ich: »Was machen wir? Wen unterrichten wir über unser Gespräch?« Wir
vereinbarten, die Gespräche geheimzuhalten, aber unsere Führungen über das
zu unterrichten, was besprochen wurde. Ich schrieb Rabin, daß ich ihn gerne
treffen würde, um ihm darüber zu berichten, und er lud mich sofort ein. Wir
führten ein langes Gespräch im Büro des Ministerpräsidenten in Jerusalem.
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Ich erzählte ihm ausführlich, er hörte
auch zu - damals konnte er noch zuhören, eine Fähigkeit, die Politiker
im Laufe der Jahre immer verlieren -, und am Ende sagte er mir
folgendes: »Ich bin gegen Kontakte, ich bin gegen die Politik, die du
vorschlägst. Aber ich verbiete sie nicht. Wenn du willst, kannst du die
Kontakte pflegen. Wenn du dabei etwas hörst, von dem du glaubst, daß der
Ministerpräsident Israels es hören sollte - die Tür steht offen. Du
kannst mir immer erzählen, aber nicht berichten, denn das würde
bedeuten, daß du von mir geschickt wirst, und das trifft nicht zu.« Das
habe ich dann auch getan. |
Als diese Gespräche durch einen Verrat bekannt wurden,
wurde Rabin sogar von Peres‘ Leuten, aber auch von der Rechten angegriffen;
ich sei eigentlich sein Agent, und er habe mich geschickt, was natürlich
nicht stimmte. Ich hatte ihn jedoch einige Male besucht, denn gelegentlich
bekam ich mündlich oder per Telefon Botschaften von Arafat oder Hamami, die
eindeutig an Rabin gerichtet waren. Eines Tages rief mich beispielsweise
Hamami aus London an und teilte mir mit, daß Arafat in Moskau bei
irgendeiner Diskussion der Vereinten Nationen, die für die Palästinenser
wichtig war, vorgeschlagen hatte, dieses und jenes zu tun, wenn Israel das
und das sagen würde. Ich bin sofort zu Rabin gefahren und habe gesagt, das
ist die Botschaft. Rabin hat das natürlich sofort abgelehnt.
Ich fragte ihn: »Warum lädst du Arafat nicht einfach ein,
wie Sadat nach Jerusalem eingeladen wurde?« Er hat mir lange erklärt, warum
nicht, und meinte: »Wenn jemand den ersten Schritt in Richtung Palästinenser
tut, wird das unabwendbar zu einem Palästinastaat führen. Darum dürfen wir
nicht den ersten Schritt tun; wir wollen keinen Palästinastaat.« Ich
erwiderte: »Wie willst du dann Frieden machen, mit wem?« Darauf Rabin:
»Frieden müssen wir machen mit König Hussein, nur er kann den Frieden
unterschreiben. Nachdem er unterzeichnet hat, ist mir ganz egal, was ihm
passiert, ob er am nächsten Tag gestürzt wird oder was auch immer.«
Ich blieb hartnäckig: »Erlaube mir, diese Logik etwas zu
untersuchen. Was heißt das? Du unterschreibst einen Friedensvertrag mit
König Hussein. Irgendwann danach wird König Hussein von den Palästinensern
gestürzt, die in seinem Königreich die Mehrheit der Bevölkerung bilden. Das
heißt, du wirst eine neue, palästinensische Regierung in Jordanien haben,
die gegen den König und daher auch gegen den Friedensvertrag ist, die
wahrscheinlich ans Ruder kommt mit der Parole 'Der König ist ein Verräter
und ein zionistischer Agent'. Dann wird es einen großen Palästinastaat von
Tulkarem bis fast nach Bagdad geben, der Israel feindlich gesonnen ist. Was
ist die Logik bei der ganzen Sache?« Darauf konnte er mir keine Antwort
geben. So blieb es jahrelang.
Wie kam Rabin nun zu Oslo? Das ist leicht zu erklären.
Rabin ist ein sehr logischer Mensch; man nennt ihn in Israel immer »das
analytische Gehirn«. Das analytische Gehirn von Rabin hat jedoch gewisse
Grenzen, es ist kein schöpferisches Gehirn, kein Gehirn, das Phantasie
entwickelt, sondern ein militärisches Gehirn, das klare, konkret bestehende
Verhältnisse analysiert und Schlußfolgerungen daraus zieht. Das ist die Art,
wie Rabin denkt: total unpersönlich.
Rabin war zu der Überzeugung gekommen - und dadurch fühle
ich mich bestätigt, denn das habe ich jahrelang gesagt -, daß man auf zwei
Wegen zu einer palästinensischen Lösung kommen kann. Der eine Weg ist der
schöpferische: Man glaubt, das Verhältnis zwischen beiden Völkern neu
gestalten zu können und eine neue Wirklichkeit zu schaffen. Ein idealer Weg
für die Entwicklung Israels wäre, über einen Palästinastaat einen besseren
Kontakt zur arabischen Welt zu bekommen und uns damit zu integrieren.
Integration in der semitischen Region war 50 Jahre lang meine Parole; sie
ist beinahe ein Spitzname von mir geworden.
Man kann aber auch einen Weg der
Eliminierung gehen, wenn sich alle anderen Lösungen einfach als
Scheinlösungen erweisen. Rabin ist auf diesem Weg zu seiner Erkenntnis
gekommen. Er hat alles andere versucht. Die Lösung mit König Hussein, an
die alle israelischen Politiker Generationen lang geglaubt haben, gab es
offensichtlich nicht mehr; der König wollte mit Palästina nichts mehr zu
tun haben. Er hatte aus eigenem Interesse das Kapitel Palästina
abgeschlossen, weil er einsah, daß es für Jordanien eine Dummheit war,
das Westjordanland seinerzeit überhaupt zu annektieren. Damals versuchte
man, alle möglichen Arten von Quisling-Organisationen aufzustellen, zum
Beispiel die sogenannten Dorf-Ligen. Das war solch ein Mißerfolg, daß es
direkt lächerlich war. |
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Man hatte es mit militärischer Unterdrückung und allem
möglichen probiert; am Ende blieb nichts anderes übrig als eine
palästinensische Lösung. Das hat Rabin eingesehen. Wie kam er jedoch dazu?
Weil ihm die Sicherheitsdienste gesagt haben: entweder oder, entweder Arafat
oder islamische Fundamentalisten; wenn die Israelis nicht mit Arafat
paktieren, dann wird es unabwendbar zu einem Umschwung im palästinensischen
Volk kommen; wenn die Intifada weitergeht, werden die Fundamentalisten die
Führung übernehmen, weil sie extremer, radikaler und manchmal auch populärer
waren als die viel gemäßigtere Al-Fatah.
Auf diese Weise kam Rabin endlich zu Arafat, wodurch ein
schöner Ausspruch des ehemaligen Außenministers Abba Eban bestätigt wurde,
der einmal gesagt hat: »Menschen und Nationen tun immer das Richtige,
nachdem alle anderen Möglichkeiten erschöpft sind.« Es hat mich immer sehr
traurig gemacht, daß man nicht auf einem anderen Weg zu dieser Lösung
gekommen ist, auf einem positiven Weg. Aber es ist immer noch besser, auf
diesem negativen Weg dazu gekommen zu sein.
haGalil 10-1999
21-10-99 Die Zentrale Gedenkveranstaltung des Staates Israel
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