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Jüdische Weisheit
 
 

Aus der Berliner Zeitung

Meir Shalev über die Bedeutung der Bibel für sein Land und über seine Idee, sämtliche Konflikte mit den Nachbarn beizulegen.

Meir Shalev, einer der bekanntesten israelischen Autoren, ist ein leidenschaftlicher Erzähler. Das ist auch in seiner Art, Geschichten aus der Bibel neu zu deuten, spürbar – in dem Buch "Der Sündenfall – ein Glücksfall?", das im letzten Herbst erschienen ist. Hannes Stein sprach mit ihm in Jerusalem.

In Ihrem Buch "Der Sündenfall – ein Glücksfall?" erzählen Sie biblische Geschichten auf zeitgenössische Art. Welche Bedeutung hat die Bibel für Israel heute?

Zu meinem Kummer eine viel zu geringe. Man identifiziert sich meist mit ihrem schlechten Teil: Gott ist auf unserer Seite, Gott hat uns dieses Land gegeben, Gott wird in unseren Kriegen vor uns herziehen und so weiter. Sehr wichtig für die heutige politische Situation ist die biblische Haltung zum Streit zwischen Staat und Religion – denken Sie nur an den Konflikt zwischen König Saul und dem Propheten Samuel.

Wie kamen Sie als Atheist darauf, ausgerechnet über die Bibel zu schreiben?

Ich denke, daß die Bibel nicht nur den religiösen Leuten gehört. Die Bibel – damit meine ich das Alte Testament – ist Eigentum des ganzen jüdischen Volkes und der ganzen Welt, oder doch der ganzen monotheistischen Welt. Ich halte die Leichtfertigkeit für unverzeihlich, mit der die weltlichen Juden in Israel dem religiösen Lager gestatten, die Bibel mit Beschlag zu belegen. Gerade weil ich säkular bin, habe ich eine Menge von der Bibel gelernt.

Welche Rolle spielt die Bibel für Sie als Schriftsteller?

Über meinen drei ersten Romanen schwebt der Geist des biblischen Stammvaters Jakob. In "Ein russischer Roman" breite ich aus, warum Jakob zu Pharao sagte, die Zeit seines Lebens sei "wenig und böse" gewesen. Ich wollte zeigen, daß die alten Patriarchen auch ein Privatleben hatten. In "Esaus Kuß" erzählte ich von den verfeindeten Zwillingen, die miteinander um die Vorherrschaft ringen. Für "Judiths Liebe" nahm ich den Satz: "Also diente Jakob um Rahel sieben Jahre, und sie deuchten ihn, als wären’s einzelne Tage, so lieb hatte er sie." Ich fragte mich, ob ich fähig wäre, so lange zu warten – und ob ich eine Frau kenne, die das wert wäre. 

Als Shimon Peres vor einigen Jahren in der Knesset König David kritisierte, erlitt einer der ultraorthodoxen Abgeordneten einen Herzinfarkt. Wie konnte es zu solch einer Szene kommen, die etwa im britischen Parlament undenkbar wäre?

Großbritannien ist das eine Extrem, die arabischen und islamischen Länder sind das andere. Hätte im Iran jemand etwas gegen den Propheten Mohammed oder den Kriegshelden Saladin gesagt, wäre dem Kritiker eine Kugel ins Herz geschossen worden. Israel liegt irgendwo zwischen diesen Extremen. So gern wir uns als westliches Land sehen würden, wir leben halt trotzdem im Nahen Osten. Die religiösen Parteien haben bei uns einen sehr großen politischen Einfluß, der ihrer Bedeutung in der Gesellschaft gar nicht entspricht. Von dieser Macht sind sie schon ein wenig betrunken geworden. Shimon Peres spielte damals auf die Geschichte von David und Bath-Seba an: König David schwängerte sie, obwohl sie eine verheiratete Frau war, und er sorgte dafür, daß ihr Mann Uriah getötet wurde. Religiöse Kommentatoren haben stets versucht, König David weißzuwaschen.

Bei Ihnen erscheint König David, salopp gesagt, als eher wilder Typ …

In der Bibel auch.

Was würden Sie einem frommen Juden sagen, der sich durch die Frechheit verletzt fühlt, mit der Sie König David kritisieren?

Daß ich König David genauso kritisiere, wie ich es mit den Staatsoberhäuptern anderer Epochen zu tun pflege. Es verleiht einem Politiker doch keine Immunität, in der Bibel zu stehen.

Eine andere Gestalt, die Sie auf unkonventionelle Weise deuten, ist Mordechai. Sie nennen ihn den ersten Hofjuden der Geschichte. Verbirgt sich darin womöglich zionistische Arroganz gegenüber den Juden in der Diaspora?

Nun, ich bin Zionist. Und offenbar identifiziere ich mich sehr mit diesem Land. Die natürliche Art, Zionist zu sein, besteht darin, hier zu leben. Es genügt nicht, in einem anderen Land irgendeine Art von politischem Einfluß zu erringen, auch dann nicht, wenn man damit den eigenen Leuten in Israel hilft. Insofern steckt in dem Wort "Hofjude" eine leise Kritik.

Ist die Bibel für Juden so etwas wie eine Familienchronik?

Ganz und gar. Als Kind dachte ich immer, daß meine Großeltern zur Welt der Bibel gehören, und noch heute kommen mir biblische Gestalten wie Urgroßeltern oder Großonkel oder Tanten vor. Ja, ich spüre eine enge und verwandtschaftliche Beziehung zu ihren Helden. Schließlich liegen zwischen mir und Abraham nur etwa zweihundert Generationen. Außerdem schreibe ich ja in der Sprache der Bibel. Nur die israelischen Schriftsteller sind damit gesegnet, sich in einer Sprache auszudrükken, die drei- bis viertausend Jahre alt ist. Niemand könnte heute im Deutsch von vor siebenhundert Jahren schreiben, es würde kein Mensch verstehen.

Kennen Sie die christlichen Schriften? Was halten Sie aus literarischer Sicht vom Neuen Testament?

Es ist viel langweiliger als das Alte Testament. Außerdem ist es voll mit Plagiaten. Letzteres meine ich aber mehr als Kompliment. Die Moralpredigten Jesu sind eine Wiederholung dessen, was die Propheten Jesaja, Jeremia und Amos sagten, und die Wundertaten, die er in Galiläa vollbringt, erinnern sehr an die Wunder, die Elias und Elisa vor ihm vollbrachten. Ich glaube nicht, daß Jesus eine neue Religion begründen wollte. Er war ein besorgter Jude, der bestimmte Fehlentwicklungen innerhalb des Judentums korrigieren wollte.

Was ist wichtiger für Sie als Autor – die Bibel oder die Literatur Europas?

Das ist kompliziert. Es ist die Bibel. Andererseits könnte ich mir mich als Schriftsteller ohne Thomas Mann, ohne Hermann Melville, ohne William Faulkner und ohne Vladimir Nabokov nicht vorstellen. Ich las Nabokovs "Lolita" mit sechzehn Jahren, und mein Weltbild war erschüttert. Ich hatte vorher gar nicht gewußt, daß ein menschliches Wesen so schreiben kann.

© G+J BerlinOnline GmbH, 12.03.1998

Hier einige persönliche Angaben zum Autor:

LITERATUR AUS ISRAEL: Meir Shalev

Lebensdaten: Als Nachkomme russischer Einwanderer 1948 im Kibbuz Nahalal geboren, studierte Psychologie, arbeitete als Journalist und Moderator, lebt heute in Jerusalem.

Übersetzungen: Seine Romane "Ein Russischer Roman", "Esaus Kuß", "Judiths Liebe", Kinderbücher und "Der Sündenfall – ein Glücksfall" erschienen im Diogenes-Verlag.

Leserreise: Meir Shalev kommt mit dem in diesen Tagen erschienenen jüngsten Roman "Judiths Liebe" Anfang Juni auch nach Berlin. Eine Rezension dieses Buches folgt in der Berliner Zeitung.

Ein Service von Berliner Zeitung, TIP BerlinMagazin, Berliner Kurier und Berliner Abendblatt
© G+J BerlinOnline GmbH, 12.03.1998

 

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