Aus 'haArez',
übersetzt in der 'ZEIT':
Imad Sabi
"WER BIST DU OFFIZIER?
Brief eines palästinensischen Gefangenen an einen
israelischen Dissidenten
Imad Sabi, ein 35 Jahre alter Palästinenser, befindet sich
seit zwanzig Monaten in israelischen Gefängnissen. Er gehört zu mehr als 350
Palästinensern, die in Israel in 'administrativem Arrest' gehalten werden, ohne
angeklagt worden zu sein. Er wird der politischen Tätigkeit in der militanten
Volksfront für die Befreiung Palästinas verdächtigt.
Der hier in Auszügen wiedergegebene offene Brief bezieht sich auf den Fall Juval
Lotem. Der israelische Reserveoffizier war kürzlich zu einem Monat Gefängnis
verurteilt worden, weil er sich weigerte, Wärter in einem Gefängnis zu sein, in
dem Palästinenser ohne Prozeß inhaftiert wurden. Der Brief wurde in der
israelischen Zeitung 'HaAREZ'
veröffentlicht.
Tel Aviv. - Eine kleine Nachricht in der Zeitung 'Al-Quds'
vom 8. Juli 1997: ''Ein israelischer Soldat, der sich geweigert hatte, Dienst im
Meggido-Gefängnis zu tun, wurde zu einer Gefängnisstrafe verurteilt.'' In der
Meldung, die nur wenige Zeilen lang ist, heißt es weiter, es handele sich um
einen Offizier im Range eines Leutnants, der gesagt habe: ''Ich ziehe es
vor, Gefangener im Gefängnis zu sein und nicht Kerkermeister politischer
Gefangener, gegen die kein Prozeß geführt worden ist.''
Wer bist Du, Offizier? Ich möchte Dir
schreiben, aber ich muß erst wissen, wer Du bist. Ich muß die Gründe kennen,
die Dich zu dem bewogen, was Du getan hast. Ich muß wissen, wie Du zu dieser
Gewissensentscheidung gelangt bist; warum Du Dich für so ein einzigartiges
Aufbegehren entschieden hast.
Wie heißt Du? Wo wohnst Du? Was tust Du? Wie alt bist Du? Hast Du Kinder?
Magst Du das Meer? Welche Bücher liest Du? Und was tust Du in der Zelle, in
der Du nun festgehalten wirst? Hast Du genug Zigaretten? Gibt es jemanden
dort, der sich mit Dir identifiziert? Fragst Du Dich manchmal: ''Ist es den
Preis wert?''
Kannst Du den Mond und die Sterne durch Dein Zellenfenster sehen? Haben sich
Deine Ohren gewöhnt an das Geklirr der schweren Schlüssel, das Knarren der
Schlösser, das Schlagen der Metalltüren? Was haben sie Dir in Deinem Prozeß
gesagt, und was hast Du ihnen geantwortet? Siehst Du im Schlaf die Weizen-
und Kornfelder, die sich im Wind bewegen? Siehst Du weite Felder mit
Sonnenblumen, sind Deine Augen erfüllt von gelben, grünen und schwarzen
Farben, und die Sonne bräunt Dich, Du lächelst im Schlaf, und die Wände der
Zelle zerbrechen und fallen zusammen und ein unbekannter Mensch winkt Dir
von weitem mit der Hand?
Hätte die Arbeit als Gefängniswärter Dich zerbrochen? Nur eine Woche,
höchstens zwei, und Du hättest Deinen Reservedienst beendet und ins
Zivilleben zurückkehren können. Du hättest Dich ruhig verhalten, Deinen
Ärger unterdrücken und Deine Gefühle für Dich behalten können. Du hättest
ein höflicher Wärter sein können, der die Inhaftierten höflich, taktvoll und
auf menschliche Weise behandelt. Was wäre passiert, wenn Du das getan
hättest?
Also, wer bist Du? Wie behandeln Dich Deine Wärter? Besucht Dich Deine Frau
oder vielleicht Deine Freundin, Mutter oder Deine Kinder? Schreibst Du
Briefe? An wen? Wie fängst Du einen Brief an, den Du an eine Frau schreibst,
die Du liebst? Denkst Du gelegentlich an mich? An die Bedeutung meiner
Freiheit für Dich? Was bedeutet Freiheit in Deinen Augen?
Ist die 'Sicherheit des Staates' wichtig für Dich? Und was, wenn ich ein
wirklicher Terrorist wäre? Was würdest Du dann sagen? Bedauerst Du Dein
Verhalten? Überkamen Dich irgendwelche Zweifel, als sie Dir sagten: 'Sie
sind gefährlich, sie gehören zur Hamas, zum islamischen Dschihad und zur
Volksfront. Hast Du kein Vertrauen in unsere Sicherheitsdienste? Glaubst Du
wirklich, daß wir bereit wären, unschuldige Menschen ins Gefängnis zu
werfen?'
Warum habe ich nur das Gefühl, Dich zu kennen? Haben wir uns in der
Vergangenheit geschrieben? Ich habe einen Freund, der Artikel gegen den
administrativen Arrest schreibt. Ist er auch Dein Freund?
Anonymer Leutnant, wie Du auch immer heißt,
schlaf gut. Genieß den friedlichen Schlummer eines Menschen, dessen Gewissen
rein ist. Wenn ich Deinen Namen kenne, werde ich Dir einen langen Brief
schreiben, einen Brief von Gefangenem zu Gefangenem. Ich werde meinen Brief
beginnen mit ''Hallo, mein lieber ...'' und enden mit ''Dein sehr ergebener
Imad''.
Anmerkung: Hoffentlich gibt es - nicht nur in Israel -
noch viel mehr solche Beispiele für Zivilcourage.
Warum kennt man sie nicht? Gibt es sie nicht oder sind sie für die
veröffentlichte Meinung kein Thema?
Vielen Dank an Olaf nach Berlin
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