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Lettische Holocaust-Ueberlebende:
Wir hoffen auf Gesten nicht nur von der Schweiz
Von Caroline Smrstik, dpa
Riga (dpa) - Nur noch etwa 80 Mitglieder
zaehlt in Lettland die Juedische Gemeinschaft der Ueberlebenden von
Gettos und Konzentrationslagern. Am Dienstag erhielten die alten
Menschen in Riga als erste Holocaust-Ueberlebende der Welt Geld aus dem
neuen Schweizer Spezialfonds.
"Heute stehe ich im Mittelpunkt, aber das
bringt mir nicht viel", sagte Jewgenija Borowska etwas skeptisch.
Immerhin kann sie mit dem Scheck ueber 400 US-Dollar, der ersten
Rate von insgesamt 1 000 zugesagten Dollar, vier Monate lang die
Miete zahlen.
Die pensionierte Englisch-Lehrerin, eine
Mittsiebzigerin mit leuchtenden Augen, bessert noch immer ihre
kleine lettische Rente mit Sprachunterricht auf.
"Wir wollen kein Schweizer Geld, wir brauchen
etwas aus Deutschland", sagte sie. Anders als die
Holocaust-Ueberlebenden in Westeuropa, den USA oder Israel haben
ihre Leidensgefaehrten hinter dem Eisernen Vorhang nie
Entschaedigungs-Zahlungen aus Deutschland erhalten.
Riva Schefere, ebenfalls pensionierte Lehrerin
und die erste, die einen Scheck in Empfang nehmen konnte, pflichtete
ihrer Leidensgefaehrtin bei. "Dieses Geld ist nur ein Symbol dafuer,
dass der Westen uns endlich gehoert hat", sagte die 75jaehrige.
Angesichts der internationalen Kritik an den
Goldgeschaeften der neutralen Schweiz mit Hitler-Deutschland im
Zweiten Weltkrieg wurde im Maerz 1997 der Spezialfonds fuer
Holocaust-Opfer gegruendet. Banken und Wirtschaft der Schweiz haben
den Fonds bislang mit fast 280 Millionen Franken ausgestattet.
Die Fonds-Vertreter in Riga betonten am
Dienstag in Riga, dass es nicht um Entschaedigung, sondern um
humanitaere Hilfe fuer Beduerftige gehe.
Der Entschluss, die ersten Zahlungen in
Lettland zu leisten, geht auf Alexander Bergmann zurueck, den
Vorsitzenden der Gemeinschaft der Ueberlebenden. Er fuehrt
gleichzeitig Verhandlungen ueber Entschaedigungen mit Deutschland.
Ein Erfolg dieser Gespaeche zeichnet sich ab, doch immer mehr
moegliche Empfaenger sterben.
Vor sechs Jahren gab es noch 140
Holocaust-Ueberlebende, fast doppelt soviel wie bei dem von der
Schweiz veranstalteten Festakt. Die Erinnerungen an den
ueberstandenen Alptraum suchten die Versammlung heim.
"Vier Jahre lang war ich kein menschliches
Wesen mehr", sagt Jewgenija Borowska: "Wir waren schlimmer dran als
Hunde. Die Hunde waren beliebt." Sie wurde 1941 im Ghetto von
Daugavpils eingesperrt. Als sie ein Jahr spaeter von einem
Zwangsarbeits-Einsatz zrueckkehrte, war ihre Familie verschwunden.
Dann ueberlebte sie Deportationen in das Getto von Riga und das
Konzentrationslager Stutthof.
Ihre Sprachbegabung rettete sie, als sie 1944
fliehen konnte und sich durch das von Deutschen besetzte Ost-Polen
schlug, bis sie auf sowjetische Truppen stiess. Dann arbeitete sie
als Uebersetzerin der Sowjetarmee, bis sie 1946 nach Riga
heimkehrte.
Riva Schefere ueberlebte ein Jahr Zwangsarbeit
im Getto von Riga und versteckte sich zwei Jahre im Untergrund:
"Nach der deutschen Besatzung waren wir anders, nicht mehr
menschlich, und es hat mein ganzes Leben bis in das hohe Alter
gedauert, um davon wieder frei zu werden." Mit den Zahlungen, auch
wenn sie von der World Jewish Restitution Organisation als bedeutend
eingestuft werden, kommt man im neuen Riga trotzdem nicht weit. Frau
Schefere wollte sich eine Waschmaschine kaufen, doch dafuer reicht
das Geld nicht.
(C)dpa 181940 Nov 97
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