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Neue Auslegungen

Frauen legen die Heiligen Schriften oftmals anders aus als Männer. Während der Tagung Bet Debora fand vor allem ein von Eveline Goodman-Thau selbst verfasster und von ihr vorgetragener Midrasch großen Anklang. In einigen Workshops und Schiurim zeigte sich, dass Frauen neue Fragen an die Tora stellen, eigene Schwerpunkte legen und dabei auch Tabus aufgreifen. Judith Frishman zeichnete in ihrem Vortrag Möglichkeiten einer feministischen Perspektive auf, die im Einklang mit einer "brauchbaren Vergangenheit" stehen.

Kindermissbrauch - Tabu im Judentum

by Hadass Golandsky

Ich möchte mit meinen Ausführungen niemanden verletzen oder beschuldigen, sondern vielmehr die Aufmerksamkeit auf ein schwerwiegendes Problem lenken. Denn nur wer aufmerksam ist, kann etwas bewegen, kann sich einmischen und helfen.

Einleitung

Stellen Sie sich vor, Ihr Rabbiner oder seine Frau schlagen ihre Kinder. Würden Sie was tun, um den Kindern zu helfen? Würden Sie mit dem Rabbiner reden? Das Jugendamt, oder sogar die Polizei einschalten? - Die meisten von uns werden einfach nichts unternehmen. Es handelt sich schließlich um unseren Rabbiner. "Und außerdem hat er auch andere Qualitäten", denken viele, um einen Grund zu finden, sich nicht einzumischen. Wir denken auch, daß es bestimmt ein Einzelfall ist, daß der Rabbiner oder seine Frau sich gestreßt fühlen, daß es nicht leicht ist, ein Rabbiner in Europa zu sein usw. usw. - Damit haben wir ein Tabu kreiert. Denn wir können und wollen uns gar nicht vorstellen, daß Kindermißbrauch im Judentum weit verbreitet ist.

Was ist Kindermißbrauch? - Für Mißbrauch steht folgende Definition im Wörterbuch: "böswillig falscher, übertriebener oder unerlaubter Gebrauch (eines Rechts, einer Sache, einer Person)". Die Bandbreite von Mißbrauch ist nahezu unendlich: Sie reicht von körperlichem bis psychischem - und von gewalttätigem bis "sanftem" Mißbrauch. Für die Opfer – hier Kinder – ist jede Art von Mißbrauch zutiefst verunsichernd, schädigt Körper, Geist und/oder Seele und hat oft verheerende Folgen für die weitere Entwicklung.

Kinder, die einem Mißbrauch zum Opfer fallen, sind Menschen, die nicht in der Lage sind, für sich selbst zu sorgen. Sie sind auf die Hilfe und Unterstützung Erwachsener (meistens zuerst auf die ihrer Eltern) angewiesen. – Die Täter sind Menschen (vor allem Erwachsene), die die Hilflosigkeit der Kinder bewußt oder unbewußt zu ihren eigenen Gunsten ausnutzen.

Sexueller Mißbrauch

Ich gehe hier exemplarisch auf sexuellen Mißbrauch von Kindern ein und werde anhand von biblischen Stellen zeigen, daß dieses Problem im Judentum nicht nur existiert, sondern auch ein großes Tabu ist.

Sexueller Kindermißbrauch darf, auch wenn manche Menschen das gerne glauben möchten, nicht mit Vergewaltigung gleichgesetzt werden. Bei sexuellem Mißbrauch benutzen die Täter die Kinder um eine sexuelle Erregung zu haben und um sich selbst sexuell zu befriedigen. Am schwierigsten ist die Lage, wenn der Täter aus der eigenen Familie kommt (Inzest): Ein Vater, der seine Tochter vor sich tanzen läßt, und dabei eine sexuelle Erregung hat oder onaniert, und sein Kind nicht auffordert, aufzuhören, mißbraucht es bereits sexuell. Eine Mutter, die beim Wickeln ihres Sohnes seine Genitalien streichelt und dabei eine sexuellen Erregung bzw. einen Orgasmus hat, mißbraucht ihr Kind sexuell. Das sind nur zwei Beispiele für mehr oder weniger unbewußten sexuellen Mißbrauch.

Soweit zur allgemeinen Definition. Jetzt stellt sich die Frage, was all das im besonderen mit Judentum zu tun hat. Sexueller Kindermißbrauch ist doch überall ein Tabu. - Das ist richtig. Sexueller Kindermißbrauch ist in unseren modernen Gesellschaften weit verbreitet. Im allgemeinen wird davon ausgegangen, daß jedes 3. Mädchen und jeder 5. Junge sexuell mißbraucht werden, meistens in ihren eigenen Familien. In Israel spricht man von jedem 5. Mädchen. Buben werden kaum erwähnt, und in orthodoxen Städten in Israel ist sexueller Mißbrauch von Kindern kaum existent. Bei den Juden der Diaspora sind die Zahlen unklar. Ist Israel wirklich "besser" als der Rest der westlichen Welt? Sind wir Juden wirklich von diesem Problem verschont? Oder wurde der sexuelle Kindermißbrauch in Judentum so gut tabuisiert, daß wir tatsächlich daran glauben, daß es ihn bei uns nicht gibt?

Wie kommt es überhaupt dazu, daß sexueller Kindermißbrauch im Judentum mehr tabuisiert ist, als in anderen westlichen Religionen und Gesellschaften? - Zuerst haben wir die allgemeine Bezeichnung des Volkes Israel, die im Grunde genommen positiv ist, jedoch auch dazu dient, menschliche Schwächen zu vertuschen. Als "Auserwähltes Volk", als "or la-gojim" (Licht der Völker), sollen wir ein Beispiel für alle anderen Nationen sein. Als solches darf es bei uns so etwas wie Kindermißbrauch gar nicht geben. Die Juden werden auch das "Volk des Buches" genannt, wobei das Buch die Tora (Pentateuch, 5 Bücher Moses) ist. Die Tora ist nicht nur unsere Lehre, sondern auch unser Gesetzbuch. Und in diesem Gesetzbuch finden wir viele Verbote und Gesetze, die den sexuellen Kindermißbrauch als nicht existent darstellen mögen bzw. hohe Strafen, die den Inzest zum Tabu machen.

1. Zur Geschichte von Lot und seinen Töchtern

Beginnen wir mit der bekannten Geschichte von Lot und seinen Töchtern (Gen. 19,30ff):

"Lot aber zog von Zoar hinauf und wohnte im Gebirge, [er] und seine beiden Töchter mit ihm: denn er fürchtete sich in Zoar zu wohnen. Und er wohnte in einer Höhle, er und seine beiden Töchter. Und die Erstgeborene sprach zu der Jüngeren: Unser Vater ist alt, und es gibt keinen Mann im Land, der zu uns eingehen könnte nach der Weise aller Welt. Komm, laß uns unserem Vater Wein zu trinken geben und bei ihm liegen, damit wir von unserem Vater Nachkommenschaft am Lebern erhalten! Und sie gaben ihrem Vater in jener Nacht Wein zu trinken, und die Erstgeborene ging hinein und legte sich zu ihrem Vater; er aber merkte weder [etwas] von ihrem Niederlegen noch von ihrem Aufstehen. Und es geschah am Morgen, da sprach die Erstgeborene zu der Jüngeren: Siehe, ich habe mich gestern abend zu meinem Vater gelegt. Laß uns ihm auch diese Nacht Wein zu trinken geben, dann geh hinein, liege bei ihm, damit wir von unserem Vater Nachkommenschaft am Leben erhalten! Da gaben sie auch in dieser nacht ihrem Vater Wein zu trinken, und die Jüngere stand auf und lag bei ihm; und er merkte weder [etwas] von ihrem Niederlegen noch von ihrem Aufstehen. Und die beiden Töchter Lots wurden von ihrem Vater schwanger. Und die Erstgeborene gebar einen Sohn, und sie gab ihm den Namen Moab; der ist der Vater der Moabiter bis auf diesen Tag. Und die Jüngere, auch sie gebar einen Sohn, und sie gab ihm den Namen Ben Ammi. Der ist der Vater der Söhne Ammon bis auf diesen Tag."

Auf den ersten Blick erscheint die Geschichte vollkommen klar: Die Töchter waren verzweifelt, denn sie glaubten, daß es keinen Mann im Lande gibt, und haben ihren Vater überlistet, um mit ihm Geschlechtsverkehr zu haben. Das ist auch die gewöhnliche Interpretation. Doch ist die Geschichte wirklich so einfach? Lassen wir uns in die Tiefe gehen: Lot, der Neffe Abrahams, lebte mit seiner Frau und zwei Töchtern in Gomora, einer Stadt, die mit Sodom die zwei Frevelstädte bildete, die Gott vollkommen vernichtet hat (Gen. 19,24-25). Es ist nicht klar, was genau in Sodom und Gomora geschehen ist, nur daß die Bewohner der beiden Städte äußerst böse waren. Aber inwiefern böse? Ein Hinweis kann uns der Name der Stadt Sodom geben, denn Sodomie bedeutet Beischlaf mit einem Tier. Im modernen Hebräischen bedeutet das Wort anale Vergewaltigung. Das bringt uns zu der Annahme, daß in Sodom und Gomora verbotene sexuellen Praktiken vollzogen wurden. Lot wird zwar als einziger Gerechter in Gomora dargestellt (Gen 19,1ff), und wurde samt Frau und Töchtern als einziger gerettet, doch müssen wir uns fragen, warum er überhaupt in so einer Stadt so lange gelebt hat. War Lot vielleicht nur einmal nett zu den Gästen, den Boten Gottes, die in die Stadt gekommen waren, aber sonst böse wie ihre anderen Bewohner? Ein Hinweis darauf, daß Lot doch nicht so gut war, gibt uns Vers 29 im selben Kapitel: "Als Gott die Städte der Gegend vernichtete, dachte er an Abraham und ließ Lot mitten aus der Zerstörung fortgeleiten, während er die Städte, in denen Lot gewohnt hatte, von Grund auf zerstörte." - Das bedeutet, daß Gott Lot gerettet hat, nicht weil er der einzige gerechte Mann in Sodom und Gomora gewesen ist, sondern weil er mit Abraham verwandt war!

Bekanntlich erstarrte Lots Frau bei der Flucht aus Gomora zur Salzsäule (Gen 19,26), und Lot blieb zwar ohne Frau aber mit zwei erwachsenen Töchtern zurück. Er fürchtete, sich in Zoar niederzulassen, und zog mit seinen Töchtern ins Gebirge, wo er allein mit ihnen eine Höhle bewohnte (Vers 30). Warum fürchtete er sich in einer Stadt zu wohnen, die ihm Gott empfohlen hatte? Es muß doch einfach verwundern, daß Lot in Sodom und Gomora furchtlos leben konnte, nicht aber in Zoar.

Es ist nicht bekannt, wie lange Lot und seine Töchter in der Höhle gelebt haben. Eines Tages jedenfalls hat die ältere Tochter beschlossen, mit ihrem Vater zu schlafen, weil es keinen Mann im Lande gab (Vers 31). Wie kommt sie überhaupt zu dieser Behauptung? Die Töchter wurden doch nicht in der Höhle, abseits der Zivilisation geboren. Nicht nur in Sodom und Gomora kannten sie schon Frauen und Männer, sondern sie haben sicherlich auch in Zoar und auf dem Weg zum Gebirge Männer getroffen und gesehen. - Die Töchter ließen ihren Vater Wein trinken, bis er nichts mehr gemerkt hat (Vers 33f). Das heißt, daß Lot so betrunken gewesen sein muß, daß er praktisch das Bewußtsein verloren hat. Physisch konnte er in so einem Zustand wohl kaum eine Erektion gehabt haben! Am Ende der Geschichte bringt dann jede Tochter einen Sohn auf die Welt (Vers 37f). Doch Lot wundert sich überhaupt nicht darüber, daß seine Töchter schwanger geworden sind. Hätte er wirklich nichts bemerkt, und hätte es im Land tatsächlich keinen Mann gegeben, müßte er doch sehr erstaunt gewesen sein!

So bringt uns die nähere Betrachtung der Geschichte zu der Annahme, daß Lot aus irgend einem Grund beschützt wird. Sei es, weil er der Neffe Abrahams war oder weil in biblischen, anders als in nachbiblischen Zeiten die Linie der Familie nach dem Vater ging, und seine Enkel/Kinder zwei wichtige Stämme begründeten (Vers 37f).

2. Näheres über das Inzestverbot

Inzest wurde jedoch nicht nur in Geschichten vertuscht, sondern auch durch Gesetze, Verbote, Gebote und Wiederholungen tabuisiert. Die meisten Gesetze der Tora befinden sich im 3. Buch Moses, und dort werden auch die Inzestverbote aufgeführt (Lev 18 und 20). Viele der Gesetze in Kapitel 20 sind eine Wiederholung aus Kapitel 18, wie zum Beispiel das Verbot der Homosexualität (Vers 22). In Israel und im Progressiven Judentum (Reform und Liberales Judentum) erlebt Homosexualität gegenwärtig eine Enttabuisierung. - Inzest leider noch nicht.

Das Verbot des Inzests finden wir detailliert in Lev 18,6-17. In der folgenden Tabelle stelle ich die einzelnen Inzestverbote vereinfacht dar. Der Täter ist immer derjenige, für den das Verbot gilt:

Verbot

Vers

Täter

allgemeinen Verbot des Inzests

6

 

Sex mit Eltern

7

Kind

Sex mit Mutter bzw. Stiefmutter

8

Kind

Sex mit Schwester bzw. Halbschwester

9

Kind

Sex mit Tante

12-13

Kind

Sex mit Onkel

14

Kind

Sex mit Frau des Onkels

14

Kind

Sex mit Schwägerin

16

Kind

Sex mit Schwiegertochter

15

Schwiegervater

Sex mit Enkelin

10

Großvater

Sex mit Stieftochter

17

Stiefvater

Sex mit Stiefenkelin

17

Stiefgroßvater

Das erste Verbot ist allgemein gehalten: Niemand soll sich sexuell irgendeinem seiner Blutsverwandten nähern. Dieses generelle Verbot ist positiv zu bewerten, denn es dient als Schutz der Kinder sowie vor Mißgeburten. Direkt darauf folgen jedoch, wie wir der Liste entnehmen können, Tabuisierung und Schuldzuweisung an die Kinder:

1. In den meisten Fällen (7 aus 11) ist der Täter das Kind, wobei das Kind nicht minderjährig sein muß.

2. Das erste detaillierte Verbot bezieht sich auf Sex mit den Eltern. Es gibt jedoch kein Verbot, daß sich auf Sex mit der Tochter oder mit dem Sohn bezieht.

3. Der leibliche Vater bzw. die leibliche Mutter werden nicht als Täter bezeichnet.

4. Eine Frau als Täterin gibt es nicht.

Eine Erklärung für diese Phänomene habe ich leider nicht. Doch wenn die Inzestverbote nicht für die Eltern gelten, bedeutet das, daß diese als Täter auch nicht vorkommen. Eltern, die ihre Kinder sexuell mißbrauchen, sind demnach ein Tabu! Und wenn ein sexueller Akt mit dem Vater oder der Mutter stattfindet, ist das Kind daran schuld und nicht die Eltern.

Nach den Verboten folgen die Warnung, der Ekel und das Auserwählen des Volkes Israel: "Macht euch nicht unrein durch all dieses! Denn durch all dieses haben die Nationen sich unrein gemacht, die ich vor euch vertreibe. Und das Land wurde unrein gemacht, und ich suchte seine Schuld an ihm heim, und das Land spie seine Bewohner aus..." (Lev 18,24ff). Zum Schluß wird die Strafe verkündet: "Denn jeder, der etwas von all diesen Greueln tut, -die Seelen, die es tun, sollen ausgerottet werden aus der Mitte ihres Volkes" (Vers 29). In Kapitel 20 ist die Strafe für diese Greueltaten der Tod. Neben Mord und Götzendienst ist Inzest einer der drei Hauptgreuel in der Tora.

Oft wird behauptet, daß Inzest im Judentum wegen der eindringlichen und wiederholten Warnungen und Androhung der Todesstrafe nicht existiert. Leider ist das nicht der Fall.

Eine zusätzliche Tabuisierung des Inzestproblems erfolgte durch eines der 10 Gebote, die - wie die Verbote des Inzest – zweimal in der Tora aufgelistet werden (Ex 20,1-17 und Dtn 5,6-20). Es geht um das 6. Gebot: "Ehre deinen Vater und deine Mutter, wie es dir der Herr, dein Gott, zur Pflicht gemacht hat..." Dieses Gebot verpflichtet das Kind, seine Eltern in jedem Fall zu ehren, unabhängig davon, was sie ihm angetan haben oder antun. Diese Aufforderung wird durch die Pflicht gegenüber Gott noch verstärkt, wodurch ein Kind, das von seinen Eltern mißbraucht wird, praktisch gar nicht gegen sie handeln kann. - Ein Gebot "Ehre deine Kinder" gibt es nicht...

Manche werden jetzt denken, daß die Tora für viele Juden doch nicht mehr so verpflichtend ist, wie sie es früher einmal war. Das ist in gewisser Weise richtig. Doch welche Rolle spielt die Tora in unserem Leben wirklich? Welche Gebote und Gesetze halten wir und welche nicht? Welche sind wichtig genug in unseren Augen und welche nicht? - Nehmen wir das Gebot der Mesusa: Die meisten Juden, von ultra-orthodox bis ultra-säkular haben eine Mesusa an ihrem Türpfosten. Und obwohl viele säkulare Juden nicht wissen, was darin steht, geschweige denn, woher dieses Gebot kommt, denken die meisten gar nicht daran, keine Mesusa zu haben. Die Gebote, den Schabbat oder Kaschrut einzuhalten, beachten hingegen viele säkulare und nicht-orthodoxe Juden nicht.

3. Das Tabu des Kindermißbrauchs durch Beschneidung

Am Gebot der Beschneidung halten jedoch fast alle Juden fest, und das ist in meinen Augen das größte Tabu des sexuellen Kindermißbrauchs im Judentum. Das Beschneidungsgebot ist im Judentum so tief tabuisiert, daß weder darüber gesprochen, noch es kritisiert wird.

Die Beschneidung kommt zuerst in Genesis 17,10-13 vor, wo Gott den ersten Bund mit Abraham schließt: "Das ist mein Bund zwischen mir und euch samt deinen Nachkommen, den ihr halten sollt: Alles, was männlich ist unter euch, muß beschnitten werden. Am Fleisch eurer Vorhaut müßt ihr euch beschneiden lassen. Das soll geschehen zum Zeichen des Bundes zwischen mir und euch. Alle männlichen Kinder bei euch müssen, sobald sie acht Tage alt sind, beschnitten werden in jeder eurer Generationen..."

Es gibt weltweit kaum einen Juden, der nicht beschnitten ist und kaum eine Beschneidung, die ohne religiöse Ritual durchgeführt wird. Es gibt kaum Jüdinnen und Juden, die sich trauen, die Beschneidung (öffentlich) in Frage zu stellen oder sie sexuellen Kindermißbrauch zu nennen. - Vom Akt der Beschneidung selbst rede ich gar nicht. Viele Menschen meinen, es sei gesünder und hygienischer die Vorhaut zu entfernen. Mag sein. Doch Beschneidung wegen Krankheiten kann zu einem späteren Zeitpunkt durchgeführt werden, wenn das Kind bereits Einsicht in die Notwendigkeit einer solchen Operation hat. In den wenigsten Fällen ist eine Beschneidung aus gesundheitlichen Gründen direkt nach der Geburt notwendig. Ich beziehe mich hier nicht auf den religiösen Akt, der an allen jüdischen Jungen im Alter von 8 Tagen vollzogen wird. Darüber, ob ein Säugling in diesem Alter ein sexuelles Empfinden hat, läßt sich vielleicht streiten, die Behauptung aber, daß er in diesem Alter nicht so schmerzempfindlich ist, wie ein älteres Kind, ist einfach falsch. Ein Baby kann einfach noch nicht sagen: "Es tut mir weh!".

Beschneidung ist ein gewalttätiges Eingreifen und eine Verletzung der Genitalien eines Kindes, was rein physisch ein sexueller Mißbrauch bzw. sexuelle Mißhandlung ist.

Ja, vielen von uns fällt es schwer, das zu akzeptieren, denn es könnte bedeuten, daß alle Jüdinnen und Juden, die ihre Söhne beschneiden ließen oder lassen, sexuell Täter sind. – Wie gesagt ist es weder meine Absicht, jemanden zu beschuldigen noch alle Juden als Kindermißhandler darzustellen. Ich möchte lediglich jede Form der Tabuisierung von Kindermißbrauch brechen und zu Diskussionen und Auseinandersetzung anregen. Durch Aufmerksamkeit, durch Befragung und durch Lernen können wir es schaffen!

Hadass Golandsky, 1962 in Haifa geboren, studierte Fotografie und Pädagogik. 1987 zog sie nach Wien. Sie ist tätig als Sekretärin am Institut für Judaistik der Universität Wien sowie als Malerin und Sängerin (unter dem Künstlernamen Haddi Golan). Sie leitet den Kurs "Basic Judaism" bei Or-Chadasch Wien, sowie Gottesdienste.

(1) Wahrig Gerhard, Deutsches Wörterbuch, Gütersloh (Bertelsmann Lexikon-Verlag) 1979
(2)Übersetzungen aus der Bibel vgl. hier und folgend: http://www.uni-koeln.de und Die Bibel Einheitsübersetzung, Freiburg (Herder) 1980
(3) Hebräisch - Türpfosten; bezeichnet die Pergamentrolle, die Dtn 6,4-9 und 11,13-21 enthält und in einem Kästchen am Türpfosten befestigt wird.

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