Wien - Die Vernichtung
von Millionen Juden im Dritten Reich bedeutete für Überlebende und ihre
Nachkommen mehr als eine existenzielle Zäsur. Sie war auch Anlass zur
Identitätssuche nachfolgender Generationen der "Opfergemeinschaft" - und
jedes ihrer Mitglieder. Vielfach wurden auch Kunstwerke zur Manifestation
dieser individuellen Aufarbeitung.
Auf der noch bis heute, Freitag, stattfindenden Holocaust-Konferenz in
der Wiener Universität beleuchtete der österreichisch-jüdische Autor Doron
Rabinovici Literatur "im Zwieklang der Zeiten". Gemeinsam verweisen Kinder
von Überlebenden "auf das Gewesene sowie auf dessen Niederlage: Vor ihrer
Geburt war der Tod, der Massenmord", so Rabinovici.
Was aber vereint Robert Menasse, Robert Schindel und Katja Behrens?
Sicher keine einheitliche Schule des Denkens, aber "wer ihre Abstammung
verschweigt, macht die deutsche Dichtung judenrein". Und auch eine
Geschichte der Wiener Literatur käme nicht ohne die berühmten jüdischen
Autoren des "Fin de Siècle" aus.
Eine Überbetonung der jüdischen Literaturproduktion birgt für Rabinovici
allerdings die Gefahr eines "Alibis" für einen Staat, wo allzu
offensichtlich "Juden wieder leben wie in jedem anderen Land".
Dabei können jüdische Künstler nicht reibungslos an Überlieferungen
anknüpfen - denn ihre Gemeinsamkeit finde sich nicht in einer
kontinuierlichen, unversehrten Identität, sondern in Brüchen, in einem
geteilten Leben vor und nach Auschwitz.
Parallelen zwischen der Identität und der Sonnenfinsternis zog Professor
Peter Pulzer: Nur mit den richtigen Brillen könne man sie ohne Schaden
betrachten. (kitz)
DER STANDARD, 3. September 1999