Tod per Internet / Jungle
World / 05.01.2000
Zu immer neuen
Drohungen gegen Juden, Ausländer
und Linke kommen 'Todeslisten':
Die extreme Rechte macht in
Deutschland mobil
von korinna klasen und
olga lembke
Beim jüdischen
Online-Dienst haGalil hat man sich an Drohungen von Rechtsextremisten
gewöhnt. »Per e-Mail erhalten wir ständig Morddrohungen«, erzählt A.I.*,
einer der Betreiber von haGalil onLine. Per Telefon kommen
»Vergasungsdrohungen« hinzu, da haGalil auch per Rufnummer erreichbar ist.
Die Diskussionsforen im
Internet werden ebenfalls von deutschen und internationalen
Rechtsextremisten zugemüllt. Deswegen sperrt haGalil regelmäßig seine Foren.
»Gerade revisionistische Schreiberlinge fühlen sich offenbar so von der
gesellschaftlichen Entwicklung gestützt, dass sie ihre Beiträge inzwischen
schon mit richtigem Namen kennzeichnen«, sagt A.I.. Aber auch für die
anderen gibt es keine Anonymität: Indem man die Datenwege zurückverfolgt,
lassen sich die Urheber meist ermitteln.
Zu Anklagen kommt es,
zumindest in Deutschland, dennoch selten: Einen Mannheimer Staatsanwalt, der
ernsthaft dran geblieben wäre, kann A.I.* immerhin nennen. Er kennt aber
auch andere Reaktionen. So habe ein Beamter des LKA Bayern eine von haGalil
erstattete Anzeige mit den Worten kommentiert: »Wenn Sie da einen Judenstern
abdrucken, brauchen Sie sich über diese Reaktionen nicht zu wundern.«
Auch die Anti-Antifa
macht noch stärker als sonst gegen Juden und Jüdinnen Front: Auf einer so
genannten Todesliste von militanten Neonazis mit dem Titel »Wehrwolf«, die
seit Anfang Dezember in Umlauf ist, wird eine »neue Offensive
nationalsozialistischer Gegenwehr« angekündigt. »Wer gegen uns vorgeht, hat
mit entsprechenden Gegenmaßnahmen zu rechnen«, heißt es im Vorwort.
Dominant ist der
Antisemitismus
Auf zwei Seiten
der »Todesliste« werden Büroadressen Jüdischer Gemeinden in Deutschland, der
Allgemeinen Jüdischen Wochenzeitung, von Restaurants in Berlin sowie von
jüdischen Kulturzentren im Bundesgebiet aufgezählt. Auf einem Stadtplan
Berlins ist die Lage von Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus
beschrieben. Der Münchener Rechtsanwalt Michael Witti, einer der
Hauptvertreter ehemaliger Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter in den
Rechtsstreits mit deutschen Firmen, wird mit Foto und Büroadresse
präsentiert.
Auch zu ihrer
Zielsetzung äußern sich die Verfasser unverblümt: »Wir wollen nichts weiter,
als Hakenkreuzfahnen zu schwingen, in SA-Uniformen zu marschieren, den Arm
zum Deutschen Gruß zu heben und unsere Meinung über Juden äußern.« Rund 150
Namen und Adressen aus dem gesamten Bundesgebiet sind nach Rubriken wie
»Parlamentarier«, »Antirassismusbüros, Demokratische Propagandasender« und
»Hebräer« sortiert.
Darunter finden sich die
Kontaktadressen der Roten Hilfe, der MLPD sowie der VVN/BdA und auch vierzig
Bundestagsabgeordnete aller Parteien mit Fotos sowie Privatadressen.
Besonders skurril: Neben PDS- und Grünen-Abgeordneten werden auch
Parlamentarier der SPD, CDU und CSU genannt - unter ihnen
Ex-Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU) und Günter Rexrodt (FDP). Dabei
bedienten sich die Neonazis offenbar eines parlamentarischen Handbuchs der
letzten Legislaturperiode. So wird Joseph Fischer hier noch als einfacher
Bundestagsabgeordneter geführt und Volker Rühe als Verteidigungsminister
genannt.
Die Auswahl der
»Volksfeinde« macht vor allem eines deutlich: Die Verfasser, eine
»Anti-Antifa Saarpfalz«, die sich bis zum Herbst noch »Anti-Antifa Kurpfalz«
nannte, zeigen den Weg auf, den US-Neonazis wie William Pierce und
schwedische Neonazis vorgeben: weg von den NPD-Massenmobilisierungen und hin
zum Kampf mit militäschen Mitteln gegen - auch vermeintliche - politische
Entscheidungsträger, Gegner und Gegnerinnen sowie staatliche Institutionen.
Die Anti-Antifa
Saarpfalz hatte schon im September des letzten Jahres eine Liste mit 40
Namen und Adressen von Berliner Parlamentarierinnen und Parlamentariern,
Journalistinnen und Journalisten sowie nicht-rechten Jugendlichen
veröffentlicht. Einige der Betroffenen stellten Strafanzeige gegen
Unbekannt. Beim Berliner Verfassungsschutz hieß es damals, man wisse nicht,
wer sich hinter der Anti-Antifa Kurpfalz verberge.
Den Sicherheitsbehörden
in Rheinland-Pfalz jedoch waren die rechten Datensammler seit Herbst 1998
bekannt: Im November 1998 hatte der SPD-nahe Blick nach Rechts berichtet,
dass die Anti-Antifa Kurpfalz für »Fotos mit Namen und Adressen von Gegnern«
fünf Mark zahle. Erst nach Presseberichten wurde die Liste auch in Berlin
ernst genommen. Nun ermittelt die Berliner Staatsanwaltschaft gegen Neonazis
aus Berlin, Niedersachsen und Brandenburg wegen »Bildung einer kriminellen
Vereinigung«.
Im Oktober wurden die
Wohnungen rechtsextremer Aktivisten, unter ihnen Oliver Schweigert aus
Berlin, durchsucht; es fanden sich entsprechende Anti-Antifa-Listen. Nach
einem Bericht der britischen Zeitung Guardian hatten die Neonazis geplant,
sechzig Adressen und Namen von Staatsanwälten, Richtern und anderen
politischen Gegnern im Internet zu veröffentlichen.
In und um Göttingen
scheint die extreme Rechte schon weiter zu sein. Das niedersächsische LKA
musste vor Weihnachten sogar Göttinger Antifas und bekannte Linke vor
Briefbombenanschlägen von Neonazis warnen: Ein lokaler
DGB-Kreisvorsitzender, die PDS-Bundestagsabgeordnete Heidi Lippmann sowie
drei Wohngemeinschaften erhielten überraschenden Besuch, der davor warnte,
Weihnachtspäckchen in der Größe einer Video-Kassette zu öffnen.
Gegegenüber der taz
begründete der zuständige BKA-Abteilungsleiter das Vorgehen mit Unterlagen
über Sprengstoff und Zündern, die bei Hausdurchsuchungen in der rechten
Szene gefunden worden seien. Gleichzeitig aber bewertete er die
rechtsextreme Szene in Südniedersachsen als politisch bedeutungslos.
Diese Einschätzung teilt
auch die Göttinger Antifa M. Die Gruppe weist jedoch auf mögliche
Anwerbe-Aktionen staatlicher Institutionen in der rechten Szene hin. Der
lokale Neonazi-Kader Thorsten Heise habe auf einer Webpage angedeutet, dass
ein »Spitzel« junge Nazis anwerbe, um sie zu Militanten auszubilden. Auch
soll, so die Antifa M, bei den Durchsuchungen Sprengstoff gefunden worden
sein, was aber bis heute vom BKA geleugnet würde. Die Antifas ziehen daraus
den Schluss, dass zwischen dem Sprengstoff-Fund und dem »Spitzel« ein
Zusammenhang bestünde.
* Name von der Redaktion
geändert
DIR-Buero, Postfach 1221
35002 Marburg www.uni-marburg.de
Schwarze Listen in
Berlin:
Nazi-Terror soll
einschüchtern
haGalil 07-01-2000
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