Kein Geld
für jüdische Kultur online
Vor
drei Jahren wurde der Informationsdienst "haGalil" gegründet. Aber Sponsoren
und Werbekunden fehlen, der finanzielle Ruin steht bevor
Nov.'98 - Ob Orthodoxe,
Konservative, Reformierte, Gelehrte, Rabbiner oder solche, die sich nur ab
und zu bei einer großen Feier durch ihre Kippas outen: Sie stören uns nicht
und dürfen ihre Bräuche, Gesetze und Zeremonien auch hierzulande einhalten
und pflegen. Sie dürfen an Rosch Ha-Schana Krümel ins Wasser werfen, Gläser
bei Hochzeiten zertreten oder Steine auf ein Grab legen. Solche Dinge geben
der deutschen Kultur den multikulturellen Touch. Und Klezmer- Musik klingt
auch nicht schlecht, wenn man in Stimmung ist. Und doch gehört diese ganze
Folklore in die eigene Gemeinde, wohin auch sonst? Aber nun auch online?
Das Internet, so demokratisch und
anarchistisch es ist, haben verschiedene Minderheiten, Gruppen und
Gruppierungen schon längst als Kommunikationsinstrument für sich entdeckt.
Trotzdem spuckten die Suchmaschinen, mit dem Begriff "Judentum" gefüttert,
in Deutschland jahrelang vor allem Adressen von neonazistischen
Organisationen aus. Doch dann tauchte haGalil, ein jüdischer Online-Dienst
aus Deutschland, auf den Bildschirmen auf.
Das Wort haGalil ist hebräisch und
heißt übersetzt "Galiläa". Die Website ist unter der Adresse
www.hagalil.com seit drei Jahren abrufbar. Die Idee der beiden Müncher
Gründer David und Eva war so einfach wie idealistisch: das wachsende
Interesse an jüdischem Leben in aller Welt, jüdischer Kultur und dem Land
Israel zu wecken und zu vertiefen. Beide wollten zeigen, daß es auch im
heutigen Deutschland jüdisches Leben gibt und geben kann. Und das ist
locker, intelligent, modern - eben ein anderes Gesicht des deutsches
Judentums. Und: "Wir wollten falschen Vorstellungen entgegenwirken und
Vorurteile über das Judentum abbauen", sagt David.
Die Voraussetzungen dafür schienen
gut. Der neue Dienst wurde am Anfang begeistert begrüßt. "Diese Stille aus
Deutschland hat uns schon lange beunruhigt", schrieb eine Surferin aus
Amerika. Dadurch bestand auch die berechtigte Hoffnung, die notwendigen
finanziellen Mittel im Laufe der Zeit durch Werbung und Sponsoren
hereinzuholen.
In der Tat haben Eva und David
seitdem 1995 viel bewegt. Innerhalb von drei Jahren avancierte haGalil zu
einem der größten jüdischen Kultur- und Informationsdienste weltweit und
zum größten jüdischen Online-Dienst in deutscher Sprache. Täglich finden
sich hier neben aktuellen Nachrichten auch Informationen über das Leben
der Juden in Deutschland, Österreich, der Schweiz und der Länder
Mitteleuropas. Namhafte Autoren aus Israel und Palästina debattieren den
Nahost-Friedensprozeß.
Auch der Holocaust ist ständig Thema.
Überdies sind Mitteilungen über Neuerscheinungen auf dem Buch- und
Musikmarkt sowie Einführungen in die hebräische und jiddische Sprache
genauso selbstverständlich wie eine Einführung in die Regeln koscheren
Sexes. Auch eine spezielle Seite für Kinder fehlt nicht. Doch jetzt steht
der Dienst vor dem Aus. Die privaten Ersparnisse sind aufgebraucht, neue
Finanzquellen nicht in Sicht. Da hilft auch nicht der Förderverein, in dem
sich eine Gruppe von Freunden, Fans und Interessierten vor einigen Monaten
offiziell in Berlin organisiert hat.
Jüdisches Leben ist in
Deutschland unbekannt
Mittlerweile füllen die
Bittbriefe des Vorstandes um
finanzielle Hilfe und die Antworten darauf ganze Aktenordner. Dabei
dominieren Gleichgültigkeit, Ignoranz, Unverständnis, Klischeedenken und
meist eine deutliche Ablehnung. "Die Angerufenen reagierten mal frech, mal
unverschämt. Einige sagten einfach: ,Na hören Sie mal! Juden, gibt's so
was noch?` Häufig wurde ich an die imaginären reichen Juden verwiesen. Oft
wurde, vor allem bei Großkonzernen, das bereits erfolgte Engagement für
jüdische Kultur in Israel ins Feld geführt."
Manche Manager befürchteten wohl, so
David, ihre Produkte neben Bergen von Brillen und grauen Haaren
präsentiert zu sehen. "Etwas anderes konnten und wollten sie sich unter
,jüdischem Leben` gar nicht vorstellen. Kein einziges mal wurden wir
gefragt, wieviel eine Werbeschaltung bei uns kosten würde."
Auch die Jüdischen Gemeinden in
Deutschland sehen sich nicht in der Lage, das Projekt finanziell zu
unterstützen. Ein Grund für die bisherige Zurückhaltung dürfte sein, daß
für das Medium Internet in den mehrheitlich konservativen Gemeinden kein
Ansprechpartner vorhanden ist. Zwar sind in haGalil mehrere Gemeinden
präsent, der Dienst selbst legt aber Wert darauf, nach allen Seiten hin
offen zu sein.
Sollte der Dienst zur Aufgabe
gezwungen sein, wäre das ein großer Verlust. Denn haGalil wird viel
gelesen. Über 200.000 Surfer weltweit rufen die Seiten monatlich ab.
Neugierig und interessiert sind vor allem Nichtjuden. Die Mehrheit der
Leser kommt aus Deutschland und sucht direkten Kontakt zu den Juden, ihren
Traditionen, aber auch mit der jüdischen Moderne.
Tagtäglich erhalten David und Eva
aufmunternde Mails, doch weiterzumachen. So schreibt ein Leser aus Israel:
"Ganz abgesehen vom Thema Judentum gehört Eure Website zum Allerbesten,
was ich jemals im Internet gefunden habe. Es ist einfach genial.
Erstaunlich, was heute in Deutschland möglich ist!" Und aus Frankreich
gelangte kürzlich folgende Nachricht in die Mailbox: "Von Euren
finanziellen Schwierigkeiten zu hören macht traurig und betrübt, vor
allem, wenn man feststellen muß, daß im Internet Radikale aller Art so
viel Mittel und Unterstützung bekommen! Ohne zu übertreiben: Sie haben die
besten jüdischen - und nicht nur jüdischen - Seiten Europas und vielleicht
der Welt. Wirklich einladend, instruktiv und vielseitig. Eine ganz
hervorragende Leistung!"
Doch viel Lob kann die so dringend
benötigten Mittel nicht ersetzen. Das Aus für haGalil nahen sieht auch ein
Leser aus Prag, der schreibt: "Ich fände es einen großen Schaden für uns,
die Leute aus West-, Zentral- und Osteuropa, wenn wir diesen Web-Service
nicht am Leben erhalten könnten. Wir wissen jetzt, daß Begeisterung der
einzelnen nicht reicht. Aber durchdachte Zusammenarbeit - von vielen
Leuten. Darauf baue ich auch weiterhin."
Diese Hoffnung hat auch David nicht
aufgegeben. Vielleicht geschieht doch noch ein Wunder. Wenn nicht, könnte
haGalil ab Anfang Dezember nur noch als Archiv im Netz zu bewundern sein.
Und eine Brücke zwischen Juden und Nichtjuden wäre wieder eingestürzt.
Joanna
Wiorkiewicz -
brief@taz.de
TAZ vom 29.10.1998 Seite 19 TAZ-Bericht Joanna Wiorkiewicz
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